Raine der Wagemutige
fand das Mädel nur einfach . . . bezaubernd, das ist alles. “ „Bezaubernd?“ wiederholte die alte Frau nachdenklich. „Gut. Sie wird bezaubernd sein müssen, und mehr, um ihr Ziel zu erreichen. Was geschah dann?“
Favor drückte ihr Ohr an die Kabinentür und strengte sich an, zu verstehen, was Jamie sagte. „ . . . wachsam und hart, kurz ein Mann, dem ich lieber nicht in die Quere kommen würde. Aber am Ende hatte sie es erreicht, dass er ihr praktisch aus der Hand aß, und sie sandte ihn so gezähmt in die Arme der Franzosen, gerade wie ein Lamm, das man den Wölfen vorwirft.“
Favor wurde die Kehle ganz eng, so übermächtig wurden ihre Schuldgefühle.
„Aber dann, gerade als er fast bei dem Leutnant angekommen ist, ruft sie ihm eine Warnung nach. Der Engländer stürzt in die eine Richtung davon, und wir in die andere.“
Die Kabinentür wurde plötzlich aufgerissen, und Favor wich zurück. Eine hagere ältere Frau stand vor ihr, die Hand, die eine Laterne hielt, erhoben. Favor blinzelte in dem plötzlichen Licht und versuchte hinter dem grellen Schein etwas auszumachen.
„Lauschen wir an Türen, Miss?“ fragte die Frau.
„Wenn es meiner Sache dienlich ist“, entgegnete Favor gelassen.
„Ach!“ Ein breites Grinsen erschien auf dem Gesicht der anderen. Sie wandte ihren Kopf zu Jamie um, dessen Gestalt hinter ihr den gesamten Türrahmen ausfüllte. „Kühn!“
Das helle Licht schwankte einen Augenblick länger vor Favors Gesicht. Schließlich, davon verärgert, zwang sie sich, ihm nicht länger auszuweichen. „Wäret Ihr so freundlich, das Ding aus meinem Gesicht zu nehmen, Madam?“
Ein leises Lachen war die Antwort auf ihren herrischen Ton. Die Alte senkte schließlich ihren Arm, so dass die Laterne nunmehr an ihrer Seite hing. „Spricht wie eine McClairen. Ungekrönte Könige, dafür hielten sich die McClairen immer schon.“
Muiras Lächeln erlosch. „Das ist gut, Mädchen. Du wirst dieses königliche Gebaren und mehr gut brauchen können. Aber sag mir, wenn es Nacht wird, vermögen hochnäsige Manieren da die Bilder, wie Merrick deine Angehörigen mordet, vertreiben? Nein“, beantwortete sie sich entschieden ihre Frage selbst. „Nur ein Racheakt vermag das.“
Favor schrak zurück, entsetzt von der kaltblütigen Erwähnung jener schrecklichen Nacht, in der sie beinahe ihren Clan vernichtet hatte. Im selben Augenblick schalt sie sich für ihre Naivität. Sie hatte tatsächlich gedacht, Muira würde sie mit einem freundlichen Wort willkommen heißen. Sie hätte es besser wissen müssen. Schließlich besaß sie Briefe aus beinahe einem ganzen Jahrzehnt, die sie etwas anderes hätten lehren können.
Die alte Frau betrachtete sie teilnahmslos, und Favor erwiderte ihre Musterung. Muira Dougal, geborene McClairen, hatte die Sorte Gesicht, die man von Abbildungen von Göttern auf antiken Münzen kannte, geschlechtslos und edel geformt, arrogant und irgendwie unheimlich. Ihre Augen lagen tief in den Höhlen, das schmale Gesicht war hager. Ihre dünnen Lippen waren zu einer unnachgiebigen Linie zusammengepresst. Nur das strahlende Blau ihrer Augen leuchtete, als glimme darin ein Feuer.
Fünf volle Minuten lang standen die beiden Frauen sich gegenüber, und keine war bereit, das Schweigen zu brechen. Sogar Jamie schien davor zurückzuschrecken, ihr stummes Zwiegespräch zu stören. Er trat unruhig von einem Fuß auf den anderen, während er besorgt von Favor zu Muira blickte. Auf der einen Seite stand die Frau, die völlig auf sich allein gestellt in beinahe einem ganzen Jahrzehnt den in alle Winde zerstreuten Clan der McClairen wieder zusammengeführt hatte. Auf der anderen stand das Mädchen, dessen Bruder der lang verschollene Laird ebendieser McClairen war, tatsächlich eine Art ungekrönter König. Und Muira Dougal plante dieses Mädchen zu opfern, um die McClairen in altem Glanz wieder auferstehen zu lassen.
„Du bist neunzehn Jahre alt“, sagte Muira schließlich, und ihr Tonfall verriet nichts.
„Oui, Madame“, antwortete Favor.
„Jamie sagt, du wärest bei eurer Flucht von dem abgesprochenen Plan abgewichen und hast dem englischen Bastard, den ihr in die Falle gelockt hattet, eine Warnung zugerufen. Stimmt das?“
„Oui.“
„Von jetzt an wird es kein eigenmächtiges Abweichen dieser Art mehr geben. Nicht das geringste bisschen, verstanden?“ Die Frau ließ ihre Hand wie eine angreifende Schlange vorschnellen und umfasste Favors Kinn.
„Oui, Madame.
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