Raine der Wagemutige
ausholende Handbewegung, die das ganze Zimmer umfasste.
„Der McClairen-Schatz ist nicht mehr als eine Gutenachtgeschichte für Kinder“, sagte sie verdrießlich. „Sollte es jemals irgendwelche Diamanten und Rubine gegeben haben, dann sind sie inzwischen lange verschwunden. Es überrascht mich jedoch, dass Ihr von der Geschichte gehört habt. Schließlich ist sie nur hier in der Gegend verbreitet. Wie habt Ihr davon erfahren?“
„Ich hatte eine Zeit lang einen Zellengenossen, der Ash Merrick hieß. Er hat mir davon erzählt.“
Ihre Augen wurden groß. Natürlich. Es war allgemein bekannt, dass Carrs Söhne von ein paar Schotten, die sich an dem Earl rächen wollten, gefangen genommen worden waren. Sie waren an die Franzosen als politische Gefangene weiterverkauft und in Frankreich festgehalten worden, bis für sie ein Lösegeld gezahlt würde. Genau wie alle Welt auch wusste, dass Carr sich geweigert hatte, für ihre Freilassung zu zahlen, bis letztes Jahr - so hatte man es ihr wenigstens gesagt - für kurze Zeit Ash Merrick aufgetaucht war.
Vielleicht hatte Rafe auch Raine Merrick getroffen, den Grund all ihrer Nöte. Vielleicht wusste der Mann hier sogar etwas über das Schicksal des dreifach verfluchten Frauenschänders. „Ashton Merrick hatte einen Bruder“, begann sie vorsichtig.
„Aye.“
„Hat er auch Eure Zelle geteilt?“
„Nein. Raine Merrick saß in einer anderen Stadt in einem anderen Kerker. Ich bezweifle, dass er weiß, ob Ashton noch lebt oder schon tot ist. Ich weiß es jedenfalls nicht.“ Favor schloss die Augen. „Gott möge Raine Merrick dieses Wissen vorenthalten, wenn es ihm auch nur ein winziges bisschen Seelenfrieden bescheren würde“, stieß sie aus. „Ihr hasst diesen Raine Merrick?“ fragte er.
Sie wollte nicht über diesen Dämon mit der schwarzen § Seele reden. Nicht jetzt. Nie mehr.
Hinter ihnen begann Orville sich zu regen, stöhnte und rollte sich auf den Rücken. Sie musste hier fort. Einmal mehr versuchte sie den Lehren der alten Äbtissin zu folgen: Benimm dich wie eine Königin, und du brauchst keine Krone. Sie straffte die Schultern.
„Orville wird in Kürze zu sich kommen. Wenn Ihr nicht vorhabt, ihn umzubringen - was“, fügte sie hastig hinzu, als sie die nachdenkliche Miene sah, mit der Rafe Orville betrachtete, „nur zu einer Durchsuchung des ganzen Hauses führen würde, was nicht in Eurem Sinn sein kann - dann schlage ich vor, verlasst Ihr die Räumlichkeiten wieder.
Ich möchte Euch recht herzlich für Eure Hilfe danken. Im Gegenzug verspreche ich, niemandem von Eurer Anwesenheit hier zu berichten.“ Sie machte sich daran, an ihm f vorbeizugehen, aber er vertrat ihr rasch den Weg.
„Oh, nein“, erwiderte er. „Ich habe Euch noch nicht erlaubt zu gehen. Ich habe nachgedacht.“
Eine düstere Vorahnung überkam sie. Seine Miene hatte jetzt etwas entschieden Wölfisches. Sie durfte sich ihre Furcht auf keinen Fall anmerken lassen. Sie hob eine sorgfältig gezupfte Augenbraue. „Gedacht? Ah. Ich hoffe, das ist keine neue Erfahrung für Euch?“
Um seinen Mund zuckte es anerkennend. „Ich will nicht, dass irgendjemand etwas von mir weiß. Es ist auf die Dauer zu riskant, nachts Essen aus der Küche zu stehlen. Und wenn ich meine Juwelen nicht in diesem Flügel des Hauses finde, dann werde ich die bewohnten Teile der Burg durchsuchen müssen. Dabei muss ich mit der Menge verschmelzen. Und das bedeutet, dass ich Kleidung brauche. Elegante Kleidung. “
„Und?“
„Und Ihr werdet mir beides bringen, Essen und Kleider. Es sei denn, natürlich, Ihr wollt, dass Lord Carr, Euer Gastgeber, erfährt, dass seine vermeintliche Erbin und ihr Bruder keinesfalls so gut betucht sind, wie er angenommen hatte.“
„Ihr würdet es nicht wagen, ihm das zu sagen. Ihr könnt es Euch gar nicht leisten, ihm gegenüberzutreten. Er wird Euch als Dieb hängen lassen.“
„Ich muss ihm gar nicht gegenübertreten. Ich brauche nur einen Brief zu schreiben.“
„Das ist Erpressung!“
„Ja“, bestätigte er gelassen. „Ich weiß. Aber auch wenn es keine annähernd so interessante Form der Rache sein wird wie die, die Ihr vorgeschlagen hattet, werde ich mich damit begnügen müssen.“
11. KAPITEL
Raine stand an den Türrahmen gelehnt und genoss den Anblick der jungen Frau, die ihren Rücken über ihren verlockend schwingenden Hüften sehr gerade hielt, während sie den Flur hinabeilte und in dem Dämmerlicht verschwand. Er hatte sie vor ein paar Tagen
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