Raine der Wagemutige
vergelten, indem er sie verführte, gleichgültig wie oft er mit dem Gedanken spielte. ; |
„Nein.“ Sie wandte sich ab, jedoch nicht bevor er den verletzten Ausdruck in ihren Augen bemerkte. Besser eine kleine Verletzung jetzt als eine tiefe Wunde später. „Ich habe keine Ahnung, wo ich Kleider für Euch herbekommen soll. Ihr seid einfach zu . . .“, sie deutete mit der Hand auf ihn, „groß. Außerdem, selbst wenn ich tatsächlich irgendeinen hünenhaften Dandy finden sollte, dann kann ich wohl kaum, während er schläft, in sein Zimmer schleichen und seine Kleider entwenden.“
Hünenhafter Dandy?
„Ihr seid ein erfindungsreiches Mädchen“, erwiderte er. „Ich bin sicher, Euch wird etwas einfallen. Bis mor-
gen. Ich werde dieser Kleider hier langsam überdrüssig, weigere mich jedoch, mich in längst vergangener Pracht auszustatten.“
„Warum denn nicht?“ fragte sie. „Das scheint mir doch eine sehr nahe liegende Lösung zu sein. Hier sind so viele Kleidungsstücke. “
„Es würde Euch zu sehr amüsieren“, erklärte er von oben herab. „Zählt dazu noch die Tatsache, dass Ihr - oder wenigstens sagt Ihr das immer - mein Opfer seid. Opfern ist es nicht gestattet, sich über ihre Erpresser zu amüsieren. Das gehört sich einfach nicht. Ich bin sicher, wenn es ein Buch mit Verhaltensregeln für Opfer und Erpresser gäbe, dann wäre das einer der ersten Grundsätze, die darin festgehalten worden wären.“
Ihre außergewöhnlichen Augen wurden während seiner Rede groß, und am Ende brach sie in fröhliches Gelächter aus. Guter Gott, er war dabei, das bisschen Verstand zu verlieren, das er noch besaß. Zuerst dämpfte er absichtlich ihre gute Laune, und dann, keine Minute später, unfähig den Anblick ihrer gesenkten Mundwinkel zu ertragen, war er nicht eher zufrieden, als bis ihre Fröhlichkeit wieder hergestellt war.
„Ihr könnt mir hier drüben helfen“, sagte er. „Die Möbel sind zu hoch aufeinander gestapelt. Ich kann sie nicht erreichen.“
„Wie kann ich dabei helfen?“ wollte sie wissen.
„Kommt her, und ich zeige es euch.“
Sie näherte sich ihm misstrauisch, was beinahe komisch war, bedachte man, dass er kurz davor stand, sich für seine Selbstbeherrschung, was sie betraf, selbst zum Heiligen zu erklären. „Nun?“
„Ich hebe Euch hoch, und Ihr reicht mir die kleineren Gegenstände herunter.“
„Ihr hebt mich hoch?“ wiederholte sie und musterte ihn zweifelnd.
„Ja. Genug der misstrauischen Blicke, Favor. Kommt
her.“
Zögernd gehorchte sie, legte den Kopf ein wenig in den Nacken und schaute ihm ins Gesicht, als könnte sie so seine wahren Absichten erraten. Er erhaschte einen Blick auf den leicht schräg stehenden Schneidezahn, ein weißer Schimmer in der warmen, dunklen Höhle ihres Mundes.
An ihrem Halsansatz konnte er ihren Puls schlagen sehen. Ihre Haut dort wäre warm und seidenweich.
Sie waren ungestört.
Gleichgültig, was er sich auch einredete, er war kein Heiliger, hatte sich nie gewünscht, einer zu sein. Sie erbebte,, und er spürte, wie sich als Wirkung darauf augenblicklich jeder Muskel in seinem Körper anspannte, wie bei einer Katze, die ein soeben flügge gewordenes Vögelchen beobachtete, das plötzlich mit den Flügeln zu schlagen beginnt.
Sollte sie noch einmal erschauern, würde er zuschlagen, so unerbittlich wie die Katze von der Hilflosigkeit des Kükens angezogen wird. Lieber Gott. Er war ein im Kerker hart gewordener Schurke. Was, verdammt noch einmal, hatte sie hier mit ihm zu schaffen? Er senkte den Kopf, sein Blick wurde verhangen, und er wartete nur auf eine Gelegenheit. Irgendeine Gelegenheit. Mach, dass ihr Puls sich beschleunigt, dass ihre Augen sich verdunkeln, dass
sie ihre Lippen öffnet. . .
Nichts davon geschah. Sie wandte sich um, drehte ihm den Rücken zu und sagte: „Ich bin bereit.“
Seine Hände zitterten, als er ihre Taille umschloss. Das einfache Kleid, das sie zum Arbeiten angezogen hatte, war ein Fehler. Nicht annähernd genug Stoff trennte ihn von ihr. Kein Korsett verlieh dem Oberteil steifen Halt; kein dick wattierter Stoff umgab sie wie eine Rüstung. Bloß ein einfaches Kleid aus blauer Kammgarnwolle, warm von der
Hitze ihres Körpers.
Er spürte jeden Atemzug von ihr, jedes Heben und Senken ihres Brustkorbes, ihren flachen Bauch unter seinen Fingerspitzen. Nur die Beschaffenheit ihrer Haut blieb ihm verborgen.
Er schloss die Augen. Eine Schänke, das war es, was er brauchte
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