Raine der Wagemutige
Sie rutschte nach hinten. Sie konnte ihm widerstehen, wenn er sie nicht anfasste. Aber warum sollte sie sich wünschen, ihm zu widerst. . .
Oh, nein! dachte sie. Solche Überlegungen können nur ins Verderben führen!
Kein ähnlicher Gedanke schien Rafe zu kommen. Er beugte sich weiter vor, kam auf sie zu. Das Lächeln lauerte immer noch in seinen Mundwinkeln, jetzt ein lässiges Lächeln und sehr, sehr raubtierhaft. Und seine dunklen Augen und sein eindringlicher Blick straften dieses unwiderstehlich lässige Lächeln Lügen. Er sah genauso aus wie der sprichwörtliche Wolf, der gekommen war, das Lamm zu verschlingen.
Sie schluckte, schob sich noch ein Stück nach hinten, rutschte aus und landete flach auf dem Rücken. Bevor sie sich wieder aufrichten konnte, war er schon über ihr, stützte sich zu beiden Seiten von ihr auf seinen Armen ab und versperrte ihr mit seinen breiten Schultern den Blick auf den Himmel über ihr.
Er griff nach unten und grinste, als sie zusammenzuckte, aber seine Hand glitt an ihrer sich aufgeregt hebenden und senkenden Brust vorbei und vergrub sich in ihren Haaren.
Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Die Erinnerung an seine Küsse war so frisch, dass sie sie immer noch auf ihren Lippen spüren konnte.
„Warum solltet Ihr seine wahre Farbe zu verbergen wünschen?“ Das Lächeln auf seinem Gesicht erlosch langsam. „Ah, ja. Die ersehnten Verehrer bevorzugen Dunkelhaarige.“
Rafe ließ die Strähne schwarz gefärbten Haares fallen und kam in einer fließenden Bewegung auf die Füße. Er hielt ihr seine Hand hin. Sie kämpfte sich auf einen Ellbogen und starrte verständnislos auf seine Hand. Enttäuschung trat an die Stelle ihres Zögerns. Es würde also doch kein weiteres Getändel geben.
„Lasst Euch von mir helfen“, sagte er mit ausdrucksloser Stimme, als hätte er sie nie in seinen Armen gehalten, sie nie liebkost, nie ihren Körper an seinen gepresst, ihr nie mit seinen Lippen den Mund verschlossen.
„Nein, danke sehr“, antwortete sie, sich sehr wohl bewusst, dass man ihr ihre Verstimmung anhörte.
Als wisse er um den Grund für ihren finsteren Gesichtsausdruck, grinste er. „Hier, kleiner Falke. Ich mag zwar keiner von Carrs aufgetakelten roues sein, aber wenigstens ist mein Charakter nicht so schlecht, dass ich meine bescheidenen Liebeskünste hier vorführen würde, wo jederzeit zufällig Vorbeikommende uns zusehen könnten. Noch denke ich, dass Ihr das begrüßen würdet.“
„Selbstverständlich nicht!“ erklärte sie schnippisch, während sie sich unsichtbare Grashalme aus den Kleidern klopfte und so seinem belustigten Blick auswich. Verdammt sei die Arroganz dieses Mannes.
„Ich weiß nicht, welche vorübergehende Geistesverwirrung meine Urteilskraft beeinträchtigt hat, aber Ihr könnt versichert sein, dass es keinen zweiten derartigen Fehltritt geben wird“, teilte sie ihm mit.
Damit erhob sie sich umständlich, sein Angebot, ihr zu aufzuhelfen, mit Nichtachtung strafend, und musterte ihn aus zusammengekniffenen Augen misstrauisch. Dankbar nahm sie seine Verbeugung zur Kenntnis, mit der er ihr zu verstehen gab, dass er verstanden hatte.
Und ihr entging das unverschämte Lächeln, das durch seine demütige Pose verborgen wurde.
22. KAPITEL
Favor schlenderte zu ihren Räumen und streifte sich im Gehen die Handschuhe ab. Es war erst eine Stunde vergangen, seit sie sich von Rafe getrennt hatte, und schon vermisste sie ihn. Nicht dass sie es jemals zulassen würde, dass er davon erführe. Und, ehrlich gesagt, es war schierer Wahnsinn gewesen, sich von ihm küssen zu lassen.
Zu lassen?
Ein mutwilliges Lächeln zuckte um ihre Lippen. Sie wusste genau, dass er sich viel stärker zu ihr hingezogen fühlte, als er zugeben wollte. Und sollte sie unter dem gleichen Stolz - oder eher der gleichen Angst, das zuzugeben
- leiden, nun, dann kümmerte es sie nicht.
Sie war gerade erst an ihrem Zimmer angekommen, als die Tür auch schon aufgerissen wurde. Muira packte sie am Handgelenk, zerrte sie hinein und schlug die Tür hinter ihr wieder ins Schloss. Erschreckt wich Favor ein paar Schritte zurück, bevor sie bemerkte, dass Muiras Züge frei von aller Schminke waren und sie so weder Pala noch Mrs. Douglas war. Dafür zog sich eine dicke, rot angelaufene Schramme quer über eine ihrer wettergegerbten, rauen Wangen.
„Was ist denn geschehen?“ erkundigte sich Favor besorgt.
„Was ist nicht geschehen“, entgegnete Muira scharf. „Während du müßig unter
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