Rajin (Drachenfluch Erstes Buch) (DrachenErde - 6bändige Ausgabe) (German Edition)
von Eiswölfen, die bisher davor zurückgeschreckt war, ihnen in die kalte Senke von Fjendurs Reich zu folgen.
Rajin versuchte zu sprechen. Warum sollte er sich Bratlor nicht anvertrauen? Wer sagte ihm, dass Liisho es wirklich nur gut mit ihm meinte, Bratlor aber nicht? Er suchte nach jener inneren Kraft, die ihm auch geholfen hatte, den Drachen zu bezwingen. Warum sich der Stimme in seinem Kopf kampflos beugen, da er doch sogar einen Drachen hatte besiegen können? Er hatte es einmal geschafft, diese besondere Kraft zu sammeln und einzusetzen, warum sollte sie ihn nicht auch dazu befähigen, den Bann zu brechen, mit dem Liisho ihn belegt hatte?
„Du machst einen Fehler, Rajin!“, hörte er Liishos Geisterstimme. „Vergeude deine Energien nicht damit, gegen mich zu kämpfen, sondern tu, was ich dir sage! Du wirst deine Kräfte brauchen, um deine Mission zu erfüllen! Und jetzt schick Bratlor fort! Ansonsten ist sein Schicksal besiegelt!“
Rajin bedachte Bratlor mit einem langen Blick. Statt seiner begann der Sternenseher zu sprechen. „Was sind das für Mächte, die dich in ihren Bann geschlagen haben, Bjonn?“
Rajin schluckte. Dass Bratlor ein kluger, weit gereister Mann war, der über mancherlei Wissen verfügte – Wissen, das den meisten Seemannen Winterlands für immer verschlossen bleiben würde –, wusste er natürlich. Genau das hatte Bratlor für ihn schon immer zu einem interessanten Gesprächspartner gemacht. Aber hatte er vielleicht noch weitergehende Fähigkeiten? Hatte eine seiner Reisen ihn vielleicht ins Land Magus geführt, wo er möglicherweise die Kunst des Gedankenlesens erlernt hatte? Rajin wurde sich der Tatsache bewusst, dass er noch längst nicht alles über den Gefährten wusste, der ihn so bereitwillig auf diesen Weg mit ungewissem Ziel begleitete.
Rajin fühlte einen dicken Kloß in seinem Hals und schluckte. „Woher …?“
„Mir ist das schon aufgefallen, als du noch ein kleiner Junge warst. Wenn du dich unbeobachtet glaubtest, hast du mit unsichtbaren Geistern gesprochen. Es war nicht zu verstehen, du hast nur gemurmelt. Vom Klang her hatte dieses Gemurmel Ähnlichkeit mit der Sprache der Drachenier, aber sie war es nicht, sonst hätte ich einzelne Worte wiedererkennen müssen.“
„Du hast mir gegenüber nie davon gesprochen“, sagte Rajin.
„Ich habe gedacht, du würdest dich mir eines Tages von selbst offenbaren. Du musst mit höheren Mächten im Bund stehen.“
„Dann glaubst du das, was auch Aeriggr, Kallfaer und all die anderen behaupten? Dass ich der Fluchbringer bin, der das Unglück heraufbeschwört? Der die Wassermenschen gerufen hat und dessentwegen sich die Drachen in die Kälte des Nordwestens begeben haben?“
„Ich habe nie geglaubt, dass dich irgendeine böse Absicht lenkt“, sagte Bratlor. „Und außerdem solltest du wissen, dass wir Sternenseher die ärgsten Feinde des Aberglaubens sind.“
„Wo ist die Grenze zwischen Glauben und Aberglauben, Bratlor? Ich bin mir nicht sicher, ob sie überhaupt so einfach zu ziehen ist.“
Bratlor schwieg einen Augenblick. Dann deutete er zum schwarzen Felsen und sagte: „Die Macht Fjendurs ist jedenfalls kein Aberglaube, sondern Wirklichkeit. Und dass er uns hier und jetzt sein Gesicht offenbart hat, muss ein Zeichen sein.“
„Das wird sich zeigen …“
„Du suchst nach Erkenntnis über dich selbst. Mithilfe des Orakels kannst du vielleicht einen Teil der Wahrheit erfahren. Also geh jetzt, ehe dir die Mächte, die in dir wirken, auch das untersagen!“
„Das werden sie nicht“, sagte Rajin. „Ganz im Gegenteil. Aber …“
„Aber was?“
„Geh fort von hier, Bratlor!“
„Sagen dir das auch diese Mächte?“
Darauf gab Rajin keine Antwort. Vielleicht hinderte ihn der Bann daran. Auf jeden Fall wollte Rajin verhindern, dass Bratlor in Gefahr geriet – und genau davon hatte Liisho zu ihm gesprochen.
„Hat es mit diesem Gesicht zu tun, das auf dem schwarzen Felsen zu sehen war, Bjonn?“ Bratlor nickte, als wollte er seine eigenen Worte bestätigen. „Ja, so muss es sein …“
„Ich kann dich nur beschwören, diesen Ort zu verlassen, Bratlor“, sagte Rajin. „Um deinetwillen.“
„Du hast mir das Leben gerettet, Bjonn“, erklärte Bratlor. „Da werde ich dich jetzt nicht verlassen.“
„Vielleicht kannst du dir jetzt selbst das Leben retten, indem du jetzt tust, was ich dir sage.“
„Du meinst, indem ich tue, was dir ein Geist eingeflüstert hat“, hielt Bratlor
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