Rajin (Drachenfluch Erstes Buch) (DrachenErde - 6bändige Ausgabe) (German Edition)
Luft. Er rannte die Stufen empor. Ein erneuter Schrei ließ ihn jedes Zögern vergessen.
Er gelangte in einen von bläulichem Licht erfüllten Raum und sah das vom Licht des Meermondes angestrahlte Höhlenfaultier. Vor ihm kniete die Gestalt eines jungen Mannes, während sich eine der krallenbewehrten Pranken in einer unglaublich langsamen Bewegung niedersenkte.
„Bjonn!“, rief Bratlor, legte einen Pfeil auf die Sehne und schoss ihn ab. Er traf mitten in das weit geöffnete Maul.
Im nächsten Moment spürte Bratlor einen geistigen Druck, der zu einem rasenden Kopfschmerz wurde. Eine Macht, von der der Sternenseher ahnte, dass sie eigentlich viel stärker war als er, versuchte ihn zu beherrschen. Er hatte nur einen einzigen Trumpf auf seiner Seite: seine Schnelligkeit. Sein Gegner bewegte sich nicht nur mit einer schier unfassbaren Langsamkeit, er entfaltete auch die offenbar in ihm vorhandenen Kräfte nur nach und nach.
Innerhalb weniger Augenblicke schoss Bratlor zwei weitere Pfeile ab. Einer traf das Faultier ins Auge. Bratlors Reflexbogen hatte auf diese kurze Entfernung eine Durchschlagskraft, die selbst gute Harnische zu durchdringen vermochte. So verschwand der Pfeil zur Gänze im Auge des Höhlenfaultiers und trat an der Hinterseite seines Schädels zur Hälfte wieder aus.
Regungslos stand die riesenhafte Gestalt vor ihm.
Sie schwankte.
Der Kopfschmerz, der Bratlor in den letzten Augenblicken beherrscht hatte, schwoll auf ein geradezu unerträgliches Maß an, und der Sternenseher glaubte schon, dass ihm der Schädel zerspringen müsse. Dann war der Schmerz von einem Herzschlag zum anderen wie weggeblasen.
Bratlor ließ Pfeil und Bogen fallen und lief zu seinem Gefährten.
„Bjonn!“, rief er. „Ich hätte dir nie empfehlen sollen, dich herzubegeben, aber …“
Er fasste den reglosen jungen Mann unter den Achseln und zog ihn fort. Im nächsten Moment stürzte die Gestalt des Höhlenfaultiers um wie ein entwurzelter Baum.
Mit der linken Pranke schlug das Faultier dabei gegen die Steinsäule in der Mitte der Höhle. Sie brach, das vom blauen Licht des Meermondes erfüllte Juwel fiel zu Boden und rollte so lange, bis es gegen den Kadaver eines zerteilten schädelgroßen Käfers stieß.
Sogleich wurde es merklich dunkler in der Höhle, denn der blaue Strahl, der durch die Öffnung in der Höhlenendecke fiel, traf nun nur noch die Pranke des zu Boden gegangenen Faultiers, aus dessen Maul die letzte Wolke seines Eisatems drang.
„Bjonn! Komm zu dir!“, rief Bratlor.
Er streifte seine Fäustlinge ab und konnte daraufhin fühlen, wie kalt der Gefährte war. „Nein“, flüsterte er. „Das können die Götter nicht gewollt haben!“
Der Sternenseher blickte auf. Er schluckte beim Anblick des toten Faultiers. Wenn dieses Wesen das Orakel Fjendurs gewesen war, welchen Frevel hatte er dann gerade begangen, um einen Freund zu retten?
Denn möglich war das durchaus. Es gab eine Geschichte über Wulfgar Eishaar, in der dieser mit Fjendur verhandelte, weil der Gott der Kälte einen ganzen Sommer über nicht das Eis in der Bucht von Winterborg hatte schmelzen lassen. Und in dieser Legende hatte sich Fjendur in der Gestalt eines Höhlenfaultiers gezeigt – einerseits, um von seinem Feind Njordir nicht erkannt zu werden, und andererseits, weil er Wulfgar Eishaar derart hatte beeindrucken wollen, dass fortan die Seemannen von Winterborg nur noch den Gott der Kälte und nicht mehr den nassen Herrn der Tiefe anbeteten. Wulfgar Eishaar hatte sich darauf natürlich nicht eingelassen, sodass der Gott grollend von dannen gezogen war. Da ihn aber schon damals außer den Menschen des Winterlandes kaum noch jemand verehrte, besann er sich im darauf folgenden Jahr eines Besseren und ließ die Bucht von Winterborg fast acht Monate eisfrei, was für diese Gegend ungewöhnlich lang war. Damit, so hieß es in der Legende, habe Fjendur die Seemannen von Winterborg für seinen ungerechten Zorn entschädigt.
Warum sollte Fjendur sich also nicht über Generationen hinweg eines Höhlenfaultiers als Orakel bedient haben? Wenn dies der Fall war, dann würde der Gott der Kälte jetzt vor Zorn beben und grausame Rache fordern.
Dunkelheit umgab Rajin. Er war in einen tiefen Schlaf voller wirrer Träume gefallen. Ein Chor durcheinander redender Stimmen mischte sich mit Traumbildern, die ineinander flossen. Manchmal bestanden sie nur aus einem wirren Chaos aus Formen und Farben.
Bratlor hatte ihm mal von einem
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