Raketenmänner (German Edition)
deutschen Nationalmannschaft. Als Spielernamen waren die Vornamen der beiden Jungs aufgeflockt. Die zwei machten unisono Boah! Garretsen wies noch darauf hin, dass in den weißen Rückennummern Mesut Özil und Lukas Podolski unterschrieben hatten. Die Kinder waren begeistert und sagten, dass sie gleich heute in den Dingern schlafen wollten.
Ich hätte doch was mitbringen sollen, dachte Riedel.
Kobusch sagte, jetzt sei es aber endgültig Zeit fürs Bett und ging mit den Jungs ins Schlafzimmer.
»Wie geht es ihm?«, fragte Garretsen.
»Ich konnte noch nicht mit ihm sprechen.«
»Es ist ein Kreuz mit den Weibern«, seufzte Garretsen und trat ans Fenster. »Ich könnte so nicht mehr wohnen. Ich brauche Platz zum Atmen. Außerdem fühlt man sich hier beobachtet. Nicht umsonst hatte der gute Deutsche in der guten alten Zeit stets Gardinen an den Fenstern. Weißt du noch, wie man früher durch Holland fuhr und immer dachte: Wieso haben die keine Gardinen? Da konnte man einmal durchs ganze Haus gucken!«
»Und jetzt leben wir alle im Aquarium.«
»Hast du die da drüben gesehen?«
Riedel stellte sich neben ihn. »Die hat vorhin etwas gegessen.«
»Ich glaube, die sieht nicht schlecht aus.«
»Die lebt mit einem zusammen.«
»Darum geht es doch gar nicht.«
»Der Nebel wird immer dichter.«
»Was ist das denn da?«
Garretsen zeigte auf ein Fernglas, das hinter der Stereoanlage auf dem Boden stand.
Kobusch kam zurück und sagte: »Das ist nichts.«
Garretsen hob die Augenbrauen. »Sag bloß, du stehst hier abends und spannst in die Fenster der anderen?«
»Blödsinn.«
»Wenn es nicht so wäre«, machte Garretsen weiter, »hättest du ganz unschuldig gesagt: Das ist ein Fernglas , aber du hast gesagt: Das ist nichts . Wir haben alle genug Filme gesehen, um so eine Antwort einordnen zu können.«
Kobusch atmete tief ein. »Na gut«, sagte er, »vielleicht habe ich mal einen Blick riskiert, aber ich hatte das Ding schon vorher, ich habe es nicht etwa deswegen gekauft!«
Garretsen nickte. »Wir alle haben unsere dunklen Seiten. Traurig, was diese Schlampe aus dir gemacht hat.«
»Ich komme zurecht«, sagte Kobusch.
»Sieht für mich nicht so aus.«
»Ich nehme noch ein Bier«, sagte Riedel und schickte Kobusch damit in die Küche. Garretsen ermahnte er, Kobusch in Ruhe zu lassen.
»Aber darüber muss man doch sprechen«, sagte Garretsen. »Wofür sind wir denn sonst hier?«
Kobusch kam mit dem Bier zurück. Garretsen und Riedel setzten sich auf das Sofa, Kobusch auf den Schreibtischstuhl.
»Okay«, sagte Garretsen, »lassen wir das mit den Frauen erst mal beiseite. Drei alte Freunde treffen sich und trinken Bier. Und sie tun das nicht in einer Kneipe, gehen auch nicht fein essen, nein, sie hocken in einer kleinen Bude und geben sich die Kante mit Flaschenbier. Wie früher!«
»Also, ich kann mir nicht die Kante geben, ich muss morgen früh raus«, sagte Kobusch.
»Du weißt, was ich meine«, antwortete Garretsen.
»Außerdem sollen die Kinder mich nicht verkatert sehen. Ich habe sie zwei Tage die Woche, das will ich mir nicht versauen.«
Garretsen sagte, Kobusch solle sich mal nicht ins Hemd machen und gab die Anweisung, sofort in Erinnerungen zu schwelgen. Um mit gutem Beispiel voranzugehen, erzählte er, er habe vor ein paar Wochen den Werner Patz getroffen, der seinerzeit bei einer Rockpalast-Nacht den kompletten Partykeller seiner Eltern vollgekotzt hatte.
»Welche Nacht war das noch? Die mit Mink de Ville oder die mit Graham Parker?«
»Es war die mit The Who und Grateful Dead«, sagte Riedel.
»Stimmt! Vier Stunden Grateful Dead. Und zwei Stunden lang hat Jerry García seine Gitarre gestimmt!«
»Ganz so schlimm war es nicht.«
»Schmeiß den Computer an!«, sagte Garretsen zu Kobusch. »Du kriegst das Konzert bei YouTube. Los, mach! Erinnerungen jetzt, aber feste!«
Kobusch zuckte mit den Schultern, rollte mit dem Stuhl zum Schreibtisch und öffnete ein altes weißes MacBook. Nach ein paar Sekunden hatte er das Konzert gefunden und drehte den Rechner so, dass sie alle den Bildschirm sehen konnten. Sie sahen den jungen Albrecht Metzger in Jackett und T-Shirt und hörten seine berühmte, für manche auch berüchtigte Ansage »German Television proudly presents live as our guests in Rockpalace … liebe Freunde, heute bei uns zu Gast live im Rockpalast …«
Wird das heute eigentlich auch noch gemacht?, fragte sich Riedel. Wurden Bands heute noch angesagt? Oder war das genauso aus der Mode
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