Rampensau
nicht mehr so viele – ich sollte für Nachwuchs sorgen, aber irgendwie hat das nicht geklappt. Ich rede lieber mit den Damen, verstehst du? Ich habe den Wunsch zu wissen, wie sie sich fühlen, was in ihnen vorgeht, aber ich möchte mich ihnen nicht auf eine so plumpe, fleischliche Art und Weise nähern.« Bertie starrte sie nun mit weit geöffneten Augen an. Plötzlich wirkte er überaus verletzlich.
»Deshalb gab es also Probleme«, vermutete Kim. Sie spürte Mitleid in sich aufsteigen.
»Probleme – ganz recht.« Bertie lächelte wieder und reckte sein Gesicht in die Sonne. »Aber nun bin ich ja bei euch – hier fühle ich mich sauwohl.«
Kim dachte daran, wie Brunst es wohl finden würde, dass Bertie so früh auf den Beinen war. Für ihn war die Vorstellung unerträglich, jemand könnte ihm beim Fressen zuvorkommen.
»Du musst es auch probieren, Kim«, sagte Bertie mit schmeichlerischer Stimme. »Wenn man so den Tag begrüßt, kann überhaupt nichts mehr schiefgehen. Er ist dann wie eine Perle, die uns Schweinen vor die Füße rollt.«
Kim wandte den Kopf. Bertie redete merkwürdiges Zeug, aber vielleicht sollte sie es auch versuchen – die Sonne spüren und sich keine Gedanken mehr über tote Menschen und Schwäne machen.
Ein helles rotes Tuch erstrahlte auf der Wiese im ersten Licht der Sonne. Kim kniff die Augen zusammen. Wo kam das Tuch her? Am Nachmittag, bevor sie sich in den Wald aufgemacht hatte, war es ganz sicher noch nicht da gewesen.
Sie ließ Bertie stehen, der bereits wieder die Augen geschlossen hatte und laut prustend ein- und ausatmete, und lief auf das Tuch zu. Mit jedem Schritt nahm es mehr Formen an, wurde größer und weitete sich. Kleine Seile hingen an dem Tuch, und zwei Metallstangen ragten daraus hervor. Jemand hatte ein winziges Haus aus Stoff unter dem ersten Apfelbaum aufgebaut.
Verblüfft blieb Kim stehen und reckte ihren Rüssel vor. Ein Mensch hatte sich in das Stoffgebilde verkrochen und atmete ruhig und regelmäßig. Durch einen Schlitz im Tuch konnte sie sogar in das Innere hineinsehen. Blonde lange Haare fielen über eine grüne Decke. Eine schmale Hand bewegte sich, strich eine Locke zur Seite, und dann richtete die Gestalt sich auf. Eine junge Frau schaute Kim verschlafen an.
»Wer bist du denn?«, fragte sie mit belegter Stimme. Erneut wischte sie sich die Haare aus dem Gesicht. »Mein Gott, bin ich tatsächlich auf der Schweinewiese gelandet?«
Kim grunzte eine leise Bestätigung.
Die Frau beugte sich vor, um aus dem Stoffhaus zu kriechen. »Du tust mir doch nichts?«, fragte sie lächelnd, und ihre grünen Augen funkelten. »Oder beißen Schweine? Muss ich Angst vor dir haben?«
Langsam wich Kim zurück. Die Frau mit ihren langen blonden Haaren sah Dörthe überhaupt nicht ähnlich, aber sie wirkte genauso tatkräftig und freundlich. Sie trug lediglich ein weißes T-Shirt und eine winzige schwarze Hose. Gähnend reckte sie sich im Sonnenlicht.
»Ich bin Swara«, sagte sie dann mit einem Blick auf Kim, so laut, als würde sie glauben, dass noch jemand in der Nähe sein könnte. »Bist du vielleicht das Schwein, das Munk mit der rothaarigen Frau zusammen gemalt hat?«
Kim grunzte abermals zustimmend. Die blonde Frau hatte recht. Munk hatte sie einmal mit Dörthe auf ihrem Rücken gemalt, zumindest hatte das Schwein auf dem Bild auch ein rosiges Fell und ungefähr ihre Größe gehabt.
Bertie stand noch immer mit geschlossenen Augen auf der Wiese und ließ sich von den ersten Sonnenstrahlen bescheinen. Nun rief er leise »Om« vor sich hin. Er hatte die Frau noch nicht bemerkt, auch die anderen ließen sich nicht blicken.
»Es war stockfinster, als ich gestern Abend angekommen bin«, fuhr die Frau fort. »Da war ich froh, irgendwo mein Zelt aufschlagen zu können.« Sie redete, als hätte sie das Gefühl, ihr könnte jemand zuhören. Dann reckte sie sich wieder und ging hinter das Stoffhaus, um einen Rucksack hervorzuziehen. »Wäre schön, wenn ich mich irgendwo waschen könnte. Meinst du, ich kann einfach am Haus klingeln? Aber ist heute nicht Sonntag?« Swara holte eine Flasche Wasser aus dem Rucksack hervor, setzte sie an ihre Lippen und trank. Den letzten Schluck spuckte sie in hohem Bogen aus.
Nun endlich war auch Bertie herangekommen. Er grunzte freundlich, und die Frau rief: »Was bist du denn für ein komisches Schwein?« Sie streckte ihre Hand vor und fuhr ihm über seine Wolle.
Bertie begann albern zu schnurren, als wäre er ein
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