Rampensau
gelegt.
»Richtige Schweine«, erklärte Che, »haben ein kurzes Fell, oder etwa nicht?«
Es dauerte einen langen Moment, bis Brunst begriff. Endlich erhellte ein Lächeln sein Gesicht. »Ja«, sagte er. »Kurzes Fell – na klar!«
»Ergo«, fuhr Che bedeutsam fort, »ist dieser Hans-Hubert gar kein Schwein – er gehört also nicht zu uns und hat damit auch keinen Anspruch auf unsere brüderliche Solidarität.«
»Sicher, du hast recht«, sagte Brunst und nickte heftig. »Das Wollschwein ist im Grunde überhaupt kein Schwein.«
»Jedenfalls kein richtiges«, ergänzte Che.
Kim warf Doktor Pik einen Blick zu, aber der alte Eber zeigte keine Regung, obschon sie sicher war, dass auch er den beiden genau zugehört hatte.
Wollten sie Bertie aus ihrer Gesellschaft ausstoßen – ihn von der Wiese verbannen? Darüber würde Dörthe nicht begeistert sein. Kim überlegte, ob sie Bertie warnen sollte, als ein Geräusch sie aufschreckte. Metall war auf Metall geschlagen. Auch Bertie hob den Kopf, und Che und Brunst sahen mürrisch und neugierig zugleich zu ihnen herüber. Das Geräusch war aus dem Stall gedrungen, obschon Edy doch schon frei hatte. Kim sprang auf die Beine und lief zur Tür hinüber, um hineinzuspähen. Swara stand da und hatte die Metallklappe geöffnet, die in dem Boden eingelassen war – eine Art Geheimfach, das Munk einmal für seine Bilder benutzt hatte.
»Na, kleines rosa Schwein«, sagte sie, nachdem sie Kim bemerkt hatte. »Ich schaue mich nur ein wenig um – einfach so.«
Swara war auch auf dem Heuboden gewesen, wo das Geld versteckt gewesen war – jedenfalls war die Leiter angelegt. Leise schloss sie die Klappe wieder und trug dann die Leiter an ihren Platz hinter der Tür zurück.
Kim kniff die Augen zusammen. Was sollte diese Neugier? Warum tat die Frau das?
Sie schaute auch in den Schrank, in dem Edy Geräte verstaute, die er für die Arbeit im Stall und im Garten brauchte.
Ein leises Surren ließ Swara innehalten. Sie griff in ihre Tasche und zog einen winzig kleinen Apparat hervor. Ihr Gesicht wurde ernster – sie wirkte nun ganz anders als vorhin, als sie mit Dörthe gesprochen hatte.
»Nein«, flüsterte sie in den Apparat. »Nichts … Ich bin noch nicht so weit.« Dann steckte sie das Gerät wieder ein und schritt an Kim vorbei auf die Wiese hinaus.
Kim folgte ihr. Auch Swaras Geruch hatte sich verändert – sie roch verschwitzt und irgendwie nach … Ja, wonach? Nach Lüge und Aufregung, dachte Kim, danach, dass sie eigentlich eine ganz andere war.
Einen Moment verharrte Swara. Lauschte sie? Dachte sie nach? Dann hob sie ihre Hand mit dem kleinen, silberfarbenen Apparat, als wäre dieses Ding nicht nur etwas, mit dem man sprechen, sondern auch sehen konnte. Es klickte ein paarmal, bevor sie das Ding wieder in ihre Hose schob.
Dörthe war immer noch mit Carlo im Atelier. Mit starrem Gesicht, nur im Hemd und mit kurzer Hose hockte er auf einem Stuhl, und nun redete Dörthe auf ihn ein. »Schuld«, rief sie so laut, dass es durch die geschlossenen Fenster zu hören war, »ich impfe sie dir ein – du bist ein Schuldiger, Bornstein, und ich bin deine Richterin. Ich werde dir dein Herz voller Schuld herausreißen …« Kaum hatte sie diese Worte ausgestoßen, stürzte Carlo vom Stuhl und rollte auf dem Boden herum. Dabei stieß er Schluchzer aus, wie Kim sie noch nie von einem Menschen vernommen hatte. Waren die beiden nun total verrückt geworden? Was sollte dieses schreckliche Gewimmere, das in den Ohren wehtat? So etwas wollten sie vor anderen Menschen aufführen?
Swara steuerte auf den Hof zu, als würde sie das, was Dörthe und Carlo da von sich gaben, brennend interessieren, doch kaum hatte sie drei Schritte gemacht, wich sie in den Schatten des Stalls zurück. Ein großer, schwarzer Wagen rauschte auf den Hof.
Kim kannte den Wagen. Sie erinnerte sich genau.
Ein braungebrannter Mann mit zurückgekämmten Haaren stieg aus, der trotz der Hitze einen dunklen Anzug trug. Er hielt ein weißes Papier in der Hand und eilte zur Haustür, ohne sich umzuschauen. Die Klingel ertönte. Dörthe im Atelier schreckte auf, und Carlo sprang auf die Beine. Ihm war anzusehen, wie angespannt er war. Er warf Dörthe einen fragenden Blick zu und sagte etwas, das Kim jedoch nicht verstehen konnte. Dörthe machte eine Handbewegung, die ihn offenbar beruhigen sollte. Dann verließ sie das Atelier, um die Tür zu öffnen.
»Gerald!«, rief sie überrascht und ein wenig atemlos.
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