Rampensau
setzten sie zurück und verschwanden.
»Da haben sie noch einmal Glück gehabt!«, grunzte Lunke und lachte wieder.
Kim sah dem Wagen nach. Die beiden Männer hatten nicht gefunden, was sie gesucht hatten, also würden sie wiederkommen. Es würde keine Ruhe im Wald einkehren. Sie hob ihren Rüssel in den Wind. Gleich würde es hell werden, die ersten Vögel regten sich in den Bäumen, und irgendwo waren auch die wilden Schwarzen. Emmas Rotte machte sich bereit, auf ihre Morgentour zu gehen.
»Ich muss zurück«, sagte sie. »Die anderen werden mich schon vermissen.« Sie hatte keine Lust, Emma über den Weg zu laufen.
Lunke schob sich so dicht an sie heran, dass sie seinen Atem riechen konnte. »Du denkst zu viel«, erklärte er voller Ernst. »Ich mag dich – wir sollten mehr Spaß miteinander haben.«
Kim wandte den Kopf und wich ein wenig zurück. Vielleicht hatte er recht, vielleicht sollte sie wirklich … Ein neues Licht flammte hinter ihnen auf, noch sehr weit entfernt, so dass nichts zu hören und zu riechen war. Für einen Moment verschwand es, kehrte jedoch einen Atemzug später sofort zurück.
»He, Babe«, sagte Lunke und stieß sie mit dem Rüssel an. »Soll ich mich vor dir in den schönsten, dreckigsten Dreck werfen, damit du mich endlich erhörst?«
Aus den Augenwinkeln sah sie, dass er tatsächlich in die Knie ging, doch nun hatte das Licht ihre ganze Aufmerksamkeit gefesselt. Waren die Männer zurückgekehrt, um an einer anderen Stelle ihre Suche fortzusetzen?
»Still!«, flüsterte sie. »Da kommt wieder jemand!«
Sie lief ein Stück vor und ging dann hinter einem Baum in Deckung.
Carlo kam heran, in der Hand hielt er eine Taschenlampe, in der anderen einen glänzenden Metallkoffer, wie Kim ihn vom Tierarzt kannte, und den alten, schmutzigen Spaten, der sonst in ihrem Stall hinter der Tür zum Haupthaus lehnte.
Sich immer wieder umschauend bewegte er sich vorwärts. Anders als gestern, als er Dörthe große Reden gehalten hatten, roch er nun nach Schweiß und Anspannung. An einer Eiche, die allein inmitten winziger Tannen hervorragte, verharrte er und lauschte. Kim glaubte hören zu können, wie schwer er atmete. Einen Moment später stellte er den Koffer ab und begann zu graben.
»Was tut er da?«, fragte Lunke und schnüffelte. Manchmal offenbarte er ungewollt, dass er nicht zu den klügsten wilden Schwarzen gehörte.
»Er vergräbt das, was er gestern aus dem Wagen gestohlen hat«, erwiderte Kim, während sie sich die Stelle genau einprägte. Sie erinnerte sich, was die Männer eben gesagt hatten. »Es ist Geld, wahrscheinlich sehr viel Geld.«
»Geld!«, stieß Lunke hervor. »Geld ist doch dieses bunte, merkwürdig riechende Papier, nicht wahr? Was soll man mit buntem Papier anfangen?«
Diese Frage konnte Kim nicht beantworten, aber eines wusste sie genau: Das Geld, das Carlo nun versteckte, war so wichtig, dass ein Mensch und ein Schwan hatten sterben müssen.
8
Das Wollschwein schien ein Frühaufsteher zu sein. Breitbeinig stand es mitten auf der Wiese, den zotteligen Kopf erhoben, die Augen geschlossen und in Richtung aufgehende Sonne gewandt.
Als Kim sich ihm näherte, legte Bertie seinen Rüssel in Falten, schnupperte und öffnete die Augen. »Oh!«, rief er und lächelte. »Du bist zurück – wie schön! Aber du riechst merkwürdig – wie nasse Wolle, die man durch ein morastiges Wasserloch gezogen hat.«
Kim runzelte die Stirn. Mit nasser Wolle musste er sich ja auskennen.
»Was tust du hier?«, fragte sie.
Bertie schloss wieder die Augen und ließ die ersten Sonnenstrahlen über sein Gesicht gleiten.
»Ich begrüße die Sonne – tue ich jeden Morgen. Dazu mache ich ein paar Atemübungen.« Er lächelte mit geschlossenen Augen. »So stimme ich mich auf den Tag ein, lerne ihn schätzen wie eine Kostbarkeit. – Und wo hast du die Nacht verbracht? Doktor Pik meinte, du hättest einen Freund, einen wilden Schwarzen …«
»So – das hat Doktor Pik gesagt!« Kim spürte Ärger in sich aufsteigen. Hatte Bertie es tatsächlich geschafft, auch den wortkargen alten Eber zum Sprechen zu bringen?
»Warum bist du eigentlich hier?«, fragte sie, weil sie auf keinen Fall über sich und Lunke sprechen wollte. »Hat Dörthe dich auch vor dem Schlachthaus gerettet?«
Bertie öffnete die Augen wieder und blickte sie an. Zum ersten Mal lag ein Hauch von Kummer auf seinen Zügen. »Schlachthaus? – Nein, ich sollte nicht ins Schlachthaus. Von uns Wollschweinen gibt es
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