Rampensau
er eine breite, blutig verschorfte Wunde.
»Fritz«, sagte seine Mutter in einem freundlichen, aber bestimmten Tonfall. »Du weißt, dass du dich noch schonen musst! Fang hier nicht an, herumzuhüpfen, nur weil du deinem kleinen Hausschwein imponieren willst.«
Lunke nickte mit einem kurzen Blick auf seine Mutter, doch das Grinsen wich nicht aus seinem Gesicht.
Endlich vermochte Kim sich aus ihrer Erstarrung zu lösen, sie trippelte auf ihn zu, betrachtete die üble Wunde und stöhnte auf.
»Das war alles meine Schuld«, sagte sie leise.
»Klar!« Lunke lachte und biss sie sanft ins Ohr. »Deshalb musst du auch mindestens zehnmal mit mir suhlen gehen«, flüsterte er.
Kim nickte. »Alles, was du willst«, flüsterte sie glücklich zurück.
26
Che zog es am nächsten Tag vor, ihr aus dem Weg zu gehen, um seinen schmählichen Rückzug nicht rechtfertigen zu müssen. Als Brunst ihn darauf ansprach, begann er etwas von heftigen, krampfartigen Bauchschmerzen zu faseln, die ihn schlagartig überfallen hätten. Seine eigenen Worte ergriffen ihn so sehr, dass er auf dem Hügel niedersank und hechelnd seinen Rüssel in den Wind hielt.
»Wahrscheinlich bin ich sterbenskrank«, murmelte er vor sich hin, gerade laut genug, dass ihn die anderen hören konnten.
Kim warf ihm einen abfälligen Blick zu. Wie anders hatte Lunke sich da verhalten! Die Kugel, die Carlo abgefeuert hatte, hatte ihn zwar nur gestreift, jedoch eine schlimm blutende Wunde hinterlassen. Wortreich hatte er beschrieben, wie er sich in einen Winkel der Festung der Blutsauger zurückgezogen und vor den Polizisten versteckt hatte. Die Verletzung hatte anfangs so stark geblutet, dass er gefürchtet hatte, die fliegenden Mäuse würden von dem Geruch aufwachen und sich auf ihn stürzen. Doch rechtzeitig, bevor es dunkel geworden war, hatte er sich in den Wald schleppen können. Da hatten die Polizisten Dörthe und die anderen längst weggebracht.
Am Nachmittag begann Che auf seinem Hügel lauthals zu jammern. »Mein Bauch!«, rief er. »Ich halte das nicht mehr aus – diese Schmerzen.«
Doktor Pik lächelte Kim zu. »Seine Feigheit schlägt ihm auf den Magen«, erklärte er ungewohnt boshaft. Ohne dass Kim auch nur ein Wort gesagt hatte, schien er zu ahnen, was im Wald passiert war.
Auch Brunst kümmerte sich nicht um Che, sondern machte sich über den welken Salat her, den Edy ihnen auf die Wiese geschaufelt hatte. Einzig Cecile trabte gelegentlich zu Che hinüber, um ihn zu bedauern, aber auch sie hielt es nicht sonderlich lange bei ihm aus.
»Was ist ein Testament?«, fragte sie Kim, als es bereits wieder dunkel wurde.
»Testament? Warum willst du das wissen?«, erwiderte Kim.
»Che ist ganz sicher, dass er stirbt. Er will ein Testament oder so etwas Ähnliches machen«, piepste das Minischwein.
Kim lachte, dann trabte sie zum Durchlass und lief in den Wald. Sie hatte Lunke versprochen, jeden Tag nach ihm zu sehen, doch als sie auf die Lichtung kam, lag er in seiner Senke und schlief. Für eine Weile legte sie sich neben ihn. Die anderen wilden Schwarzen waren unterwegs, daher konnte sie nicht widerstehen, sich ein wenig an ihn zu schmiegen. Der Himmel war von einem tiefen dunklen Blau, vereinzelt hörte man noch einen Vogel rufen. Sie genoss die Stille und den Frieden. Vielleicht sollte sie doch im Wald bleiben, sinnierte sie, bei den wilden Schwarzen, frei und ungebunden, aber dann fielen ihr Doktor Pik ein und Cecile. Nein, die anderen brauchten sie, selbst der mürrische Che, der nun den Sterbenden spielte, um von seiner Feigheit abzulenken.
Als Kim sich erhob, weil es Zeit wurde, zum Stall zurückzukehren, schlug Lunke die Augen auf.
»Habe gar nicht gewusst, dass du so zärtlich sein kannst«, murmelte er zufrieden lächelnd vor sich hin. »Muss mich nur beinahe erschießen lassen, damit du mir zeigst, was du für mich …«
Kim verzog das Gesicht. Er hatte gar nicht geschlafen, sondern ihr nur etwas vorgemacht!
»Behalte für dich, was du sagen wolltest!«, rief sie ihm zu. »Sonst komme ich morgen nicht wieder.«
Mittlerweile fand sie den Weg zurück auch in der Dunkelheit, obwohl ihr wegen all der Nachtgeräusche, die sie im Wald umgaben, noch ein wenig mulmig zumute war. Die anderen hatten sich schon zum Schlafen in den Stall begeben, nur Che fabulierte noch vor sich hin.
»Mein Testament … mein Vermächtnis an die Nachgeborenen«, hörte sie ihn sagen, »lautet folgendermaßen: Alles Leben ist Revolution, und jeder wahre
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