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RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts

RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts

Titel: RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jacq
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Gruppen vorgehenden Steinhauern oblag es, die
besten Blöcke zu bestimmen, zu prüfen und sie achtsam zu behandeln. Von ihrer
sorgfältigen Arbeit hing das Überleben Ägyptens ab. Dem aus diesen Steinen
entstanden die Tempel, in denen die Schöpfungskraft Wohnstatt nahm, aber auch
die Statuen, in denen die Seele der zu neuem Leben Erweckten weiterlebte.
    Jeder Pharao trug die Verantwortung für die
Steinbrüche und die Lebensbedingungen derer, die dort ihre Arbeit verrichteten.
Die Vorsteher des Arbeitstrupps waren glücklich, Sethos wiederzusehen und den
Regenten zu begrüßen, der seinem Vater zunehmend ähnlicher wurde. Der Name
Chenar war hier unbekannt.
    Sethos ließ den Vorsteher der Hauer rufen.
    Aper, untersetzt, breitschultrig, mit derben Händen,
warf sich vor dem König zu Boden. Erwartete ihn Tadel oder Lob?
    »Hier scheint keinerlei Unruhe zu herrschen.«
    »Alles ist in Ordnung, Majestät.«
    »Dein Brief behauptet das Gegenteil.«
    »Mein Brief?«
    »Streitest du etwa ab, mir geschrieben zu haben?«
    »Geschrieben? Schreiben ist nicht meine Stärke. Wenn
ich nicht umhinkann, erbitte ich die Dienste eines Schreibers.«
    »Hast du mich nicht gewarnt, weil zwischen Arbeitern
und Soldaten Streit herrscht?«
    »Niemals, Majestät! Reibereien gibt es immer mal
wieder, aber das bereinigen wir unter uns.«
    »Und die Vorarbeiter?«
    »Wir achten sie, und sie achten uns. Das sind keine
Städter, sondern erfahrene Arbeiter. Sie haben eigenhändig zugepackt und kennen
den Beruf. Wenn einer sich mal für etwas Besseres hält, regeln wir das unter
uns.«
    Aper rieb sich die Hände, als müsse er mit bloßen
Fäusten antreten gegen einen, der sich zu viel Macht anmaßte.
    »Ist der Hauptsteinbruch nicht allmählich erschöpft?«
    Dem Vorsteher der Hauer verschlug es den Atem.
    »Wer – wer hat denn das mitgeteilt?«
    »Entspricht es der Wahrheit?«
    »Mehr oder weniger, es wird allmählich mühsamer, wir
müssen tiefer graben. In zwei oder drei Jahren werden wir an anderer Stelle
suchen müssen. Aber daß du das bereits weißt, das ist ja… das Zweite Gesicht!«
    »Zeig mir die zweifelhafte Stelle.«
    Aper führte Sethos und Ramses auf eine kleine Anhöhe,
von der aus man den größten Teil des ausgebeuteten Geländes überblicken konnte.
    »Hier, zur Linken«, sagte er und streckte die Hand
aus. »Wir zögern noch, einen Obelisken herauszuschälen.«
    »Schweigen wir«, gebot Sethos.
    Ramses sah, wie der Blick des Vaters ein anderer
wurde. Mit gebündelter Kraft schien er sich ins Innerste des Gesteins zu
bohren, den eigenen Leib in Granit zu verwandeln. Von Sethos ging eine fast
unerträgliche Glut aus. Sprachlos wich Aper zur Seite, während Ramses neben dem
Herrscher stehenblieb. Auch er versuchte, hinter den Augenschein vorzudringen,
doch seine Gedanken brachen sich an den undurchlässigen Gesteinsbrocken, und er
empfand einen stechenden Schmerz auf der Höhe des Sonnengeflechts. Doch er
kämpfte verbissen und vermochte schließlich auch, die einzelnen Flöze im Fels
deutlich zu unterscheiden. Sie schienen aus den Tiefen der Erde zu kommen, sich
der Sonne und der Luft zu öffnen, eine besondere Form anzunehmen und sich
schließlich zu dem rosenfarbenen Granit mit den funkelnden Einschlüssen zu
verfestigen.
    »Hört auf an der bisherigen Stelle, und grabt rechts
weiter auf breiter Front«, befahl Sethos. »Über Jahrzehnte hinweg wird der
Granit sich großmütig zeigen.«
    Der Vorsteher der Steinhauer lief den Abhang hinunter
und hieb mit einem Meißel eine Rille ms Gestein. Die schwärzliche Färbung
verhieß nichts Gutes. Doch der Pharao hatte sich nicht geirrt, unter der
splittrigen Oberfläche lag ein Granit von blendender Schönheit.
    »Auch du, Ramses, hast es gesehen. Mach weiter so,
dring immer weiter vor ins Herz des Gesteins, dann wirst du es erkennen.«
    Wie ein Lauffeuer verbreitete sich das Wunder des
Pharaos in den Steinbrüchen, auf den Ufern und in der Stadt. Die Zeit der
Prachtbauten würde andauern und Assuan weiterhin Wohlstand bringen.
    »Aper hat diesen Brief nicht geschrieben«, sagte
Ramses, »wer hat es gewagt, dich in die Irre zu führen?«
    »Man hat mich nicht hierhergeleitet, um eine neue
Gesteinsader zu eröffnen«, erwiderte Sethos. »Der Sender dieses Schreibens hatte
mit diesem Ergebnis nicht gerechnet.«
    »Was erhoffte er sich?«
    Noch unschlüssig, gingen der König und sein Sohn den
seitlich am Hang entlangführenden schmalen Pfad hinab. Sicheren Schrittes ging
Sethos

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