RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts
doch
nun klar. Viele der Höflinge fanden dich prachtvoll bei der Prozession.«
Der leutselige Sary wirkte aufrichtig. Er zog Ramses
unter ein Zeltdach, wo frisches Bier ausgeschenkt wurde.
»Das Amt des königlichen Schreibers ist etwas, um das
dich jeder beneidet«, erklärte er mit Begeisterung. »Du erwirbst das Vertrauen
des Königs, hast Zugang zu den Schatzkammern und den Kornspeichern, erhältst
einen beachtlichen Anteil der Opfergaben im Anschluß an die Weihung im Tempel,
bist gut gekleidet, besitzt Pferde und ein Boot, bewohnst ein schönes Haus,
ziehst Erträge aus deinen Feldern, und eifrige Diener kümmern sich um dem
Wohlergehen. Deine Arme ermüden nicht, deine Hände bleiben zart und weiß, dem
Rücken ist kräftig, du hast keine schweren Lasten zu tragen, du schwingst weder
Hacke noch Grabscheit, schwere Arbeit wird dir erspart, und deine Befehle
werden eilfertig ausgeführt. Palette, Farbpigmente und Papyrusrolle sorgen für
deinen Wohlstand und machen dich zu einem reichen und geachteten Mann. Und der
Ruhm, wirst du jetzt fragen? Der wird sich einstellen! Die Zeitgenossen des
gelehrten Schreibers sind in Vergessenheit geraten, doch den Ruhm des
Schreibers singt die Nachwelt.«
»Sei Schreiber«, rezitierte Ramses mit tonloser
Stimme, »denn ein Buch ist von längerer Dauer als eine Stele oder eine
Pyramide. Esbewahrt deinen Namen länger als jedwedes Bauwerk. Die
Nachfahren der Schreiber sind ihre Weisheitsbücher, die Priester, die ihre
Totengedenkfeiern zelebrieren, sind ihre Schriften. Ihr Sohn ist das Täfelchen,
auf dem sie schreiben, der mit Hieroglyphen bedeckte Stein ihre Gemahlin. Die
mächtigsten Bauten zerfallen, das Werk der Schreiber überdauert die Zeiten.«
»Großartig!« rief Sary. »Du hast nicht vergessen, was
ich dich gelehrt habe.«
»Das haben uns die Väter gelehrt.«
»Gewiß, gewiß, aber ich habe es an dich
weitergegeben.«
»Meinen Dank.«
»Ich bin stolz auf dich, von Tag zu Tag mehr! Sei ein
guter königlicher Schreiber, und träume nicht von Höherem.«
Andere Gäste verlangten nach dem Hausherrn. Man
plauderte, trank, angelte, erzählte sich scheinheilig Vertraulichkeiten, doch
Ramses langweilte sich. Dieses Volk in seinem Dünkel, das sich mit seinen
Privilegien begnügte, war ihm unverständlich.
Seine ältere Schwester nahm ihn zärtlich am Arm.
»Bist du glücklich?« fragte Dolente.
»Sieht man das nicht?«
»Bin ich hübsch?«
Er trat etwas zurück und sah sie an. Ihr Kleid war
eher fremdländisch, zu grell in den Farben, die Perücke zu gekünstelt, aber sie
selbst wirkte nicht ganz so träge wie früher.
» Du bist eine vollendete Gastgeberin.«
»Ein Kompliment von dir, eine Seltenheit!«
»Also um so kostbarer.«
» Beim Opferritual am Nil wurde dein Auftreten
bewundert.«
» Ich habe doch unbeweglich ausgeharrt und kein Wort
gesagt.«
»Genau. Das war eine gelungene Überraschung! Der Hof
war auf eine andere Reaktion gefaßt.«
»Auf welche?«
In Dolentes stechendem Blick flackerte ein böses
Licht.
»Empörung, vielleicht sogar Angriffslust. Wenn du
nicht bekommst, was du willst, bist du für gewöhnlich viel heftiger. Sollte der
Löwe sich etwa zum Lamm gewandelt haben?«
Ramses ballte die Fäuste, um sie nicht zu ohrfeigen.
»Weißt du denn, was ich will, Dolente?«
»Was dein Bruder besitzt und du nie haben wirst.«
»Du irrst, ich bin nicht neidisch. Ich suche meinen
Weg und nichts anderes.«
»Die Ferienzeit ist angebrochen, Memphis wird
unerträglich. Komm mit in unsere Residenz im Delta! Du kannst uns Bootfahren
lehren, wir werden schwimmen und dicke Fische fangen.«
»Mein Amt…«
»Komm, Ramses, jetzt ist doch alles geklärt, widme
dich ein Weilchen deinen Angehörigen, und laß dich von ihnen verwöhnen.«
Der Sieger des Angelwettbewerbs stieß einen
Freudenschrei aus. Die Gastgeberin mußte ihn beglückwünschen und der Hausherr
ihm die Papyrusrolle mit den abenteuerlichen Schilderungen Sinuhes überreichen.
Ramses gab Ameni ein Zeichen.
»Meine Angel ist zerbrochen«, gestand der junge
Schreiber.
»Gehen wir.«
»Schon?«
»Das Spiel ist aus, Ameni.«
Ein prachtvoll gekleideter Chenar kam auf Ramses zu.
»Ich bedaure, so spät zu kommen, nun konnte ich deine
Geschicklichkeit gar nicht bewundern.«
»Ameni hat an meiner Stelle teilgenommen.«
»Bist du denn müde? Das geht wohl vorüber.«
»Deute es, wie du willst.«
»Bravo, Ramses, du erkennst deine Grenzen von Tag zu
Tag besser. Dennoch hätte ich
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