RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts
Bald fühlte er sich als Gefangener in diesem Paradies, daher nahm
er seinen Reisesack, seine Matte und seinen Stock und machte sich davon, ohne
jemandem ein Wort zu sagen. Moses würde es schon verstehen.
Wächter war dick geworden, ein paar Tage Fußmarsch
würden ihmguttun.
Der Oberste Palastwächter war am Ende seiner Kräfte.
In seinem ganzen Leben hatte er noch nie soviel gearbeitet. Er war hierhin und
dorthin geeilt, hatte Dutzende von Gewährsleuten zusammengetrommelt, war jeder
Einzelheit nachgegangen, hatte die Befragungen wiederaufgenommen und den
Befragten schreckliche Strafen angedroht.
Versuchte jemand, die Nachforschungen zu erschweren,
oder war das Räderwerk des Gemeinwesens von allein ms Stocken geraten? Das war
nicht einfach zu beantworten. Gewiß, etwas Druck war schon ausgeübt worden auf
ihn, den hohen Beamten, aber von wem das kam, hatte er nicht herauszufinden
vermocht, und außerdem konnte ihm kein noch so blutrünstiger Höfling so viel
Furcht einflößen wie die Königin.
Als er sicher war, alle seine Möglichkeiten
ausgeschöpft zu haben und nun nicht weiter vorankommen zu können, ließ er sich
bei Tuja melden.
»Ich versichere Majestät meiner tiefsten Ergebenheit.«
»Deine Tüchtigkeit wolltest du beweisen.«
»Majestät hatte mir befohlen, die Wahrheit
herauszufinden.«
»In der Tat.«
»Majestät dürfte nicht enttäuscht sein, denn…«
»Überlaß mir das Urteil, und nenn mir die Tatsachen.«
Der Beamte zögerte.
»Ich möchte noch vorausschicken, daß meine
Verantwortung…«
Der Blick der Königin untersagte ihm weiteres
Eigenlob.
»Die Wahrheit, Majestät, hört man häufig ungern.«
»Ich höre.«
Der Mann schluckte.
»Nun gut, ich melde Majestät ein zweifaches Unglück.«
Ameni schrieb sorgfältig die Verfügungen ab, die jeder
königliche Schreiber zur Kenntnis zu nehmen hatte. Obwohl es ihn betrübte, daß
Ramses ihm offensichtlich nicht vertraute, wußte er, daß der Prinz wiederkommen
würde. Folglich fuhr er mit seiner Arbeit fort, als sei nichts geschehen.
Als Wächter ihm auf den Schoß sprang und ihm mit
sanfter und feuchter Zunge die Wangen leckte, vergaß Ameni die Vorwürfe und
hieß Ramses freudig willkommen.
»Ich war überzeugt, deine Schreibstube leer zu
finden«, bekannte der Prinz.
»Und wer hätte wohl die laufenden Geschäfte erledigt?«
»Ich an deiner Stelle hätte eine solche
Vernachlässigung nicht hingenommen.«
»Du hast deinen Platz, ich den meinen. Die Götter
haben es so gewollt, und ich begnüge mich damit.«
»Verzeih mir, Ameni.«
»Ich habe geschworen, dir treu zu dienen, und werde
mein Wort halten, sonst werden die Dämonen der Hölle mir die Gurgel
durchschneiden! Du siehst, ich handle aus reinem Eigennutz. War’s eine
angenehme Reise?«
Ramses erzählte ihm vom Harim, von Moses und Setaou,
sparte aber seine Begegnung mit Nefertari aus. Das war ein Augenblick der Gnade
gewesen, den sein Gedächtnis bewahren würde wie ein Juwel.
»Du kommst gerade im rechten Augenblick«, bekannte
Ameni, »die Königin wünscht dich so schnell wie möglich zu sehen, und Acha hat
uns zum Abendessen eingeladen.«
Acha empfing Ramses und Ameni in seinem Amtssitz
mitten in der Stadt, unweit seiner Dienststelle und ihrer Verwaltung. Trotz
seines jugendlichen Alters ähnelte er mit seinem schmeichlerischen Gebaren und
dem verbindlichen Ton bereits einem erfahrenen Gesandten. Auf sein
Erscheinungsbild bedacht, kleidete er sich nach der neuesten memphitischen
Mode, dieser Mischung aus bewährten Formen und greller Farbenpracht. Zu der
angeborenen Vornehmheit war jetzt eine Selbstsicherheit im Auftreten gekommen,
die Ramses noch nicht an ihm kannte. Augenscheinlich hatte Acha seinen Weg
gefunden.
»Du scheinst glücklich mit deinem Los«, bemerkte
Ramses.
»Ich wurde gut angeleitet, und das Glück war mir hold.
Mein Bericht über den Trojanischen Krieg wurde als der zutreffendste gewertet.«
»Ach ja, wie steht’s damit?«
»Die Niederlage der Troer ist unabwendbar. Im
Gegensatz zu denen, die auf Agamemnons Milde bauen, sage ich ein Gemetzel und
die Zerstörung der Stadt voraus. Dennoch werden wir nicht einschreiten, Ägypten
betrifft dieser Zwist in keiner Weise.«
»Den Frieden zu bewahren ist Sethos’ Hauptanliegen.«
»Daher seine Besorgnis.«
Ramses und Ameni stellten dieselbe bange Frage:
»Befürchtest du etwa einen Krieg?«
»Die Hethiter beginnen sich erneut aufzulehnen.«
Gleich im ersten Regierungsjahr hatte Sethos
Weitere Kostenlose Bücher