RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts
Moses ein sehr gutes Verhältnis zu den Tänzerinnen hatte. Dessen
Stimmung dagegen wurde zunehmend düsterer. Setaou waren die Qualen seiner
beiden Freunde fremd. Das ständige Zusammensein mit den Schlangen, die einen
plötzlichen und gnadenlosen Tod bewirken konnten, erfüllte sein Leben mit Sinn.
Auch Moses hätte sich gern einer solchen Leidenschaft gewidmet, aber er war
eingespannt in ein Netz von Verwaltungsaufgaben, die er so gewissenhaft
erledigte, daß er wohl bald zum Leiter eines Harim befördert werden würde.
»Eines Tages«, sagte er zu Ramses, »werde ich all das
verlassen.«
»Was willst du damit sagen?«
»Ich weiß es selbst noch nicht, aber ein solches
Dasein wird mir in zunehmendem Maße unerträglich.«
»Dann gehen wir zusammen.«
Eine Tänzerin – ihr Körper duftete betörend – strich
an den beiden Freunden vorbei, doch auch ihr gelang es nicht, sie heiter zu
stimmen. Als die Vorführung zu Ende ging, ließen sie sich aber doch überreden,
mit den jungen Frauen zu speisen, die sich neben einem Bassin mit
blauschimmerndem Wasser niedergelassen hatten. Prinz Ramses mußte etliche
Fragen beantworten, über den Hof, sein Amt als königlicher Schreiber und seine
Zukunftspläne. Er antwortete ausweichend, ruppig, fast rüpelhaft. Enttäuscht
überboten sich die jungen Frauen schließlich mit poetischen Zitaten, womit sie
ihre umfassende Bildung unter Beweis stellten.
Ramses fiel auf, daß eine von ihnen nichts sagte. Sie
war entzückend mit ihren glänzenden tiefschwarzen Haaren, den blaugrünen Augen
und schien jünger als ihre Gefährtinnen.
»Wie ist ihr Name?« fragte er Moses.
»Nefertari.«
»Warum ist sie so schüchtern?«
»Sie stammt aus einer bescheidenen Familie und ist
erst seit kurzem hier, sie fiel uns auf, weil sie so gut weben konnte. In allen
Bereichen ist sie bereits die Beste ihrer Gruppe, und das verzeihen ihr die
Mädchen aus reichen Häusern nicht.«
Einige der Tänzerinnen gingen wieder zum Angriff über
und bemühten sich, die Gunst des Prinzen zu erobern. Das Gerücht sprach von
einer Heirat mit Iset, der Schönen, doch hatte ein Königssohn nicht ein
größeres Herz als andere Männer? Ramses ließ die Schmachtenden stehen und
setzte sich neben Nefertari.
»Ist dir meine Anwesenheit unangenehm?«
Die Angriffslust, die in dieser Frage steckte,
entwaffnete sie. Verwirrt blickte sie zu Ramses auf.
»Verzeih meine Grobheit, aber du scheinst mir so
einsam.«
»Ich… ich dachte nach.«
»Welche Sorge beschäftigt dich?«
»Wir sollen uns einen Lehrsatz des Weisen Ptah-hotep
wählen und ihn erläutern.«
»Ich verehre diesen Mann, welchen Satz wirst du
wählen?«
»Ich bin noch unschlüssig.«
»Wozu fühlst du dich berufen, Nefertari?«
»Zum Blumenbinden, gern würde ich die Kränze für die
Götter binden und den größten Teil des Jahres im Tempel verbringen.«
»Ist das nicht ein sehr karges Dasein?«
»Ich hebe die Meditation, aus ihr schöpfe ich meine
Kraft. Steht nicht geschrieben, die Stille lasse die Seele wachsen wie einen
blühenden Baum?«
Die Aufseherin rief die Mädchen zusammen, sie sollten
sich umkleiden und dann zum Grammatikunterricht kommen. Nefertari erhob sich.
»Einen Augenblick noch! Würdest du mir eine Gunst
erweisen?«
»Die Aufseherin ist streng und duldet keine
Verspätung.«
»Welchen Lehrsatz wirst du wählen?«
Ihr Lächeln hätte auch den zornigsten Krieger
besänftigt.
»Ein wahres Wort ist verborgener als der grüne Stein;
doch man findet es bei den Mägden, die am Mühlstein arbeiten.«
Wie eine Luftgestalt, wie eine Lichtgestalt enteilte
sie.
ZWANZIG
ramses verweilte eine Woche im Harim Mer-Our, doch Nefertari sah er
nicht wieder. Moses, von seinem Vorgesetzten, der seinen Eifer schätzte, mit
Arbeit überhäuft, konnte seinem Freund nur wenig Zeit widmen. Dennoch schöpften
sie aus ihren Gesprächen neue Kraft und schworen sich, nicht dahinzudämmern im
Schlaf des Gerechten.
Recht schnell wurde die Anwesenheit des jüngeren Sohns
des Sethos zu einem Ereignis. Altere Damen von Stand suchten das Gespräch mit
ihm, einige überschütteten ihn mit Erinnerungen und guten Ratschlägen, etliche
Handwerker und Beamte buhlten umsein Wohlwollen, und der Leiter des
Harim bezeigte ihm unermüdlich größte Zuvorkommenheit, damit er Sethos
berichte, wie vollendet dieser Harim geführt war. Sich in einen Garten
zurückzuziehen, um in Frieden die Schriften der Alten zu lesen, geriet zu einem
Kunststück.
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