RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts
vorzuführen?«
Chenar beugte sich. Zu viele gewichtige Zeugen waren
zugegen. Eswar klüger, auf einen von Anfang an verlorenen Kampf zu
verachten. Der Schuldige würde in die Oasen verbannt werden.
»Das Recht ist eine schöne Sache«, sagte Chenar
abschließend, um Verbindlichkeit bemüht.
»Es zu achten ist die Grundlage unseres
Gesellschaftsgefüges.«
»Wer behauptet das Gegenteil?«
»Wenn du das Land mit solchen Methoden regierst, wirst
du in mir einen unerbittlichen Widersacher haben.«
»Was stellst du dir denn da schon wieder vor?«
»Ich stelle mir nichts vor, ich beobachte. Lassen
große Pläne sich verwirklichen, wenn man seinen Nächsten verachtet?«
»Sei nicht so verstiegen, Ramses! Du schuldest mir
Respekt!«
»Noch ist Sethos Pharao, Herr über Ober- und
Unterägypten, wenn ich nicht irre.«
»Der Spott hat seine Grenzen, morgen wirst du mir
gehorchen müssen.«
»Morgen ist noch weit.«
»Dein Irrtum wird dem Untergang sein.«
»Beabsichtigst du, auch mich wie einen hethitischen
Gefangenen zu behandeln?«
Empört brach Chenar das Gespräch ab.
»Dein Bruder ist ein mächtiger und gefährlicher Mann«,
bemerkte Moses, »hältst du es für nötig, ihn derart herauszufordern?«
»Er erschreckt mich nicht. Was wolltest du vorhin
sagen, in bezug auf die Götter?«
»Ich weiß selbst nicht so recht, seltsame Gedanken
gehen mir durch den Kopf und quälen mich. Solange ich ihr Geheimnis nicht
entschlüsselt habe, werde ich keinen Frieden finden.«
DREIUNDZWANZIG
ameni liess nicht locker. Als rechte Hand des königlichen Schreibers
Ramses hatte er Zugang zu zahlreichen Verwaltungsdienststellen, wo er Freunde
zu gewinnen wußte, die ihm bei seinen Nachforschungen halfen. So ging er die
ganze Liste der Werkstätten durch, die Tintensteine herstellten, und ließ sich
die Namen der Besitzer nennen. Wie Königin Tuja schon zu Ramses gesagt hatte,
waren die Angaben zu dieser verdächtigen Werkstatt tatsächlich verschwunden.
Da diese Spur nun im Sande verlief, legte Ameni einen
wahren Ameisenfleiß an den Tag. Er mußte jene Würdenträger ausfindig machen,
die mit den Schreibern in unmittelbarem Kontakt standen, deren Hab und Gut
auflisten und dabei hoffentlich auf die Werkstatt stoßen. Aber auch diese Spur
führte trotz tagelanger Suche nicht weiter.
Jetzt blieb nur noch eines zu tun: die Abfallhalden
nach Scherben durchzukämmen, angefangen bei der Halde, wo er selbst fast zu
Tode gekommen wäre. Bevor ein Schreiber irgend etwas auf Papyrus übertrug,
benutzte er, wenn er seine Arbeit gewissenhaft tat, erst einmal eine
Kalksteinscherbe für den Entwurf. Diese wanderte dann mit unzähligen anderen in
ein großes Loch, das sich auffüllte im Rhythmus der Schriftstücke, die diese Behörde
zu liefern hatte.
Ameni war sich nicht einmal sicher, daß es eine zweite
Ausfertigung der Besitzurkunde dieser Werkstatt gab. Dennoch widmete er dieser
Wühlarbeit zwei Stunden täglich und fragte nicht nach der Aussicht auf Erfolg.
Iset betrachtete die Freundschaft zwischen Moses und
Ramses mit Argwohn. Der Hebräer, ein gequälter Geist, der seinen Weg noch nicht
gefunden hatte, übte einen schlechten Einfluß auf den Ägypter aus. Daher zog
die junge Frau ihren Geliebten in einen Wirbel von Vergnügungen und sprach
vorsichtshalber nicht mehr von ihrem Heiratswunsch. Ramses ging ihr in die
Falle. Von Haus zu Haus, von Garten zu Garten, von Empfang zu Empfang führte er
das müßige Leben eines Adeligen und überließ Ameni die Erledigung der laufenden
Geschäfte.
Ägypten war ein Traum, der Wirklichkeit geworden war.
Ein Paradies, das Tag um Tag neue Wunder darbot: Beglückung im Überfluß für
den, der den Schatten eines Palmenhains, den Honig einer Dattel, das Lied des
Windes, die Schönheit des Lotos oder den Duft der Lilien zu würdigen wußte. Und
war es nicht vollkommenes Glück, wenn dazu noch die Leidenschaft einer hebenden
Frau hinzukam?
Iset, die Schöne, wiegte sich im Glauben, Ramses’
Gedanken kreisten nur um sie. Ihr Geliebter war fröhlich und stürmisch wie kein
anderer. Ihre Liebesspiele nahmen kein Ende, die Lust war ihnen gemeinsam und
feuerte sie an. Wächter entwickelte sich zum Leckermaul bei all den
Köstlichkeiten, die die Köche der nobelsten Familien von Memphis zubereiteten.
Ganz offensichtlich war den beiden Söhnen des Sethos
der Weg vom Schicksal vorgezeichnet: für Chenar die Staatsgeschäfte, für Ramses
ein ruhiges, aber glanzvolles Leben. Iset war mit
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