RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts
nicht mehr entschließen können, ihn auszusprechen. Der Pharao unterbreitete
ihm seinen Plan: Den jetzigen Vizekönig wollte er im Amt belassen und
tadelloses Verhalten von ihm fordern. Bei der geringsten Beanstandung würde der
Mann seine Laufbahn als Festungsverwalter beenden.
Der Elefant strich Ramses mit dem Rüssel über die
Wange. Obwohl viele Soldaten den Riesen gerne bei Paraden in Memphis gesehen
hätten, hatte der Prinz entschieden, er solle dort, wo er geboren war,
glücklich und in Freiheit leben.
Ramses streichelte dem Tier den Rüssel. Die Wunde
vernarbte bereits, und der Elefant wies in Richtung Savanne, als wollte er den
Königssohn auffordern mitzukommen. Aber die Wege des Riesen und des Prinzen
trennten sich hier.
Ramses verharrte eine Weile völlig reglos. Der Verlust
dieses überraschenden Verbündeten machte ihm das Herz schwer. Wie gern wäre er
mit ihm gezogen, um unbekanntes Land zu erkunden und von ihm zu lernen. Doch
der Traum zerfiel, die Schiffe warteten, es ging zurück gen Norden. Nach Nubien
würde er zurückkehren, das schwor sich der Prinz.
Singend bauten die Ägypter das Lager ab. Die Soldaten
sparten nicht mit Lob für Sethos und Ramses, die eine gefährliche Expedition in
einen Triumph verwandelt hatten. Die Lagerfeuer wurden nicht gelöscht, die
Eingeborenen sollten sich die Glut ruhig holen.
Als er an einem Gehölz vorbeikam, vernahm der Prinz
eine klagende Stimme. Hatte man etwa einen Verwundeten zurückgelassen?
Er schob das Blattwerk auseinander und entdeckte ein
verschrecktes Löwenjunges, das kaum mehr atmen konnte. Das Tier streckte die
rechte Pfote von sich, sie war geschwollen, die Augen waren fiebrig. Ramses
nahm das klagende Tier auf den Arm und stellte fest, daß das Herz ganz
unregelmäßig schlug. Ohne Behandlung würde der kleine Löwe sterben.
Zum Glück war Setaou noch nicht an Bord gegangen.
Ramses zeigte ihm das verletzte Tier. Die Untersuchung der Wunde ließ keinen
Zweifel zu.
»Es ist ein Schlangenbiß«, erklärte Setaou.
»Hat er Überlebenschancen?«
»Sehr geringe, schau her: man sieht deutlich die drei
Löcher, sie entsprechen den zwei Giftzähnen und dem zusätzlichen dritten, und
auch der Abdruck der sechsundzwanzig Zähne ist erkennbar. Folglich war es eine
Kobra. Wäre dies kein außergewöhnlich kräftiger Löwe, wäre er längst tot.«
»Außergewöhnlich?«
»Schau dir die Gliedmaßen an. Für ein so junges Tier
sind sie riesig. Ausgewachsen wäre dieser Kerl gewaltig.«
»Versuch ihn zu retten.«
»Die Jahreszeit könnte ihm zu Hilfe kommen, denn im
Winter ist das Kobragift nicht ganz so wirkungsvoll.«
Setaou zerrieb eine Schlangenholzwurzel aus der
östlichen Wüste, streute das Pulver in etwas Wein und flößte es dem Löwen ein.
Dann zerkleinerte er die Blätter dieses Strauchs, zerrieb sie in Öl und
bestrich den Körper des Tieres, um das Herz zu stärken und die Atmung zu
beschleunigen.
Während der ganzen Reise ließ Ramses den jungen Löwen
nicht aus den Augen. Er war eingewickelt in ein Tuch mit feuchtem Wüstensand
und Rizinusblättern; er rührte sich kaum mehr. Zwar gab man ihm Milch zu
trinken, doch er wurde zunehmend schwächer. Aber sobald der Prinz ihn
streichelte, schien ihm das zu belugen, denn in seinem Blick lag Dankbarkeit.
»Du wirst überleben, und wir werden Freunde sein«,
versprach Ramses.
ZWEIUNDDREISSIG
erst wich wächter zurück, dann pirschte er sich heran. Furchtsam schob
der Hund die Nase vor und erkühnte sich dann doch, den jungen Löwen zu
beschnuppern, dem zum erstenmal ein so seltsames Tier vor Augen kam. Der kleine
Wildfang, der zwar noch schwach auf den Beinen stand, wollte spielen. Er sprang
auf Wächter zu und erstickte ihn mit seinem Gewicht. Der Hund kläffte laut,
konnte sich auch befreien, nicht aber dem Hieb ausweichen, der sein Hinterteil
traf. Das waren Krallen gewesen.
Ramses packte den kleinen Löwen am Genick und hielt
ihm eine Strafpredigt; das Kerlchen spitzte die Ohren und hörte ihm zu. Der
Prinz verarztete seinen Hund, der nur ein paar Kratzer hatte, und stellte die
beiden Gefährten dann erneut einander gegenüber. Wächter, der ein wenig
nachtragend war, versetzte dem Löwen, den Setaou »Schlächter« getauft hatte,
nun seinerseits einen Hieb mit der Pfote. Gegen das Schlangengift und auch den
Schatten des Todes hatte er sich behauptet. Der Name entsprach seiner
ungeheuren Kraft und würde ihm Glück bringen. Ein riesiger Elefant, ein
gewaltiger Löwe…
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