Ramses 4 - Die Herrin von Abu Simbel
Zählen des Viehs oder zu große Nachsicht gegenüber faulen Schreibern, und das ganze Bauwerk droht Schaden zu nehmen.»
«Was besagt die neueste Botschaft von Acha?»
Ameni richtete sich voller Stolz auf.
«Heute kann ich dir versichern, daß unser Freund aus der Zeit, da wir gemeinsam an der Hohen Schule der Schreiber unterwiesen wurden, ein Mann von größtem Einfallsreichtum ist.»
«Wann kehrt er aus Hatti zurück?»
«Nun… vorerst bleibt er noch in Hattuscha.»
Ramses war erstaunt.
«Seine Mission sollte doch mit der Thronbesteigung Hattuschilis enden.»
«Er sieht sich genötigt, seinen Aufenthalt in der hethitischen Hauptstadt zu verlängern, doch er hat uns eine riesengroße Überraschung beschert.»
Als Ramses Amenis freudige Erregung gewahrte, ahnte er schon, daß Acha ein neues Glanzstück vollbracht haben mußte.
Mit anderen Worten, es mußte ihm gelungen sein, trotz unüberwindlich scheinender Hindernisse den gemeinsam mit Ramses entwickelten Plan in seiner Gänze erfolgreich in die Tat umzusetzen.
«Majestät, gestattest du mir, die Tür deines Amtsraums zu öffnen, um einen bemerkenswerten Gast hereinzulassen?»
Ramses stimmte zu und bereitete sich darauf vor, einen sonderbaren Sieg auszukosten, den er der Gewandtheit seines Obersten Gesandten verdankte.
Serramanna stieß einen hochgewachsenen, muskulösen Mann mit wallender Mähne und fuchsrot behaarter Brust vor sich her. Durch die Knüffe des Sarden in seiner Ehre gekränkt, wandte sich Uriteschup zu ihm um und drohte ihm mit der Faust.
«Behandle den rechtmäßigen König von Hatti nicht in dieser Weise!»
«Und du», wandte Ramses ein, «erhebe deine Stimme nicht in diesem Königreich, das dir Gastfreundschaft bietet.»
Uriteschup versuchte, dem Blick des Pharaos standzuhalten, vermochte dies aber nur für kurze Zeit. Der hethitische Krieger fühlte die Schmach der Niederlage. So vor Ramses zu erscheinen, wie ein gewöhnlicher Flüchtling… Vor Ramses, dessen sichtbare Macht ihn in ihren Bann schlug und überwältigte.
«Ich bitte Deine Majestät, mir in deinem Land Zuflucht zu gewähren, und ich kenne den Preis. Ich werde all deine Fragen zu den Stärken und Schwächen der hethitischen Armee beantworten.»
«Dann fangen wir sogleich damit an», verlangte Ramses.
Die Demütigung brannte wie Feuer in seinem Leib, als Uriteschup sich verneigte.
Der Obstgarten des Palastes stand in voller Blüte.
Granatapfelbäume, Wacholder, Feigenbäume und Weihrauchsträucher suchten einander an Schönheit zu übertreffen. Hier erging sich Iset die Schöne gern mit Merenptah. Die robuste Beschaffenheit dieses Knaben erstaunte seine Erzieher. Ramses’ jüngster Sohn spielte gern mit Wächter, dem goldgelben Hund des Königs. Trotz seines beachtlichen Alters fügte sich das Tier den Launen des Kindes.
Gemeinsam jagten sie Schmetterlingen nach, die sie jedoch nie erhaschten. Danach streckte sich Wächter aus und sank in tiefen, erholsamen Schlaf. Schlächter, der nubische Löwe, ließ es über sich ergehen, daß Merenptah ihn anfangs noch ängstlich, dann mit wachsender Zuversicht streichelte.
Iset trauerte der Zeit nach, da Kha, Merit-Amun und Merenptah sich in diesem von Obstbäumen bestandenen Hain oder im angrenzenden Garten vergnügt und die Sorglosigkeit der Kindheit genossen hatten. Mittlerweile vertiefte Kha im Tempel sein Wissen, und die sehr hübsche Merit-Amun, um deren Hand bereits hohe Würdenträger angehalten hatten, widmete sich ausschließlich ihrer Musik zu Ehren der Götter.
Gern entsann sich Iset die Schöne des zu ernsthaften Knaben mit seiner Schreiberpalette und des bezaubernden Mädchens mit seiner Harfe, die zu groß war, als daß es sie selbst hätte tragen können. War das nicht erst gestern gewesen, dieses fortan nie mehr erreichbare Glück?
Wie viele Male hatte Iset die Schöne Dolente wiedergesehen, wie viele Stunden hatten sie über Nefertari, ihren Ehrgeiz und ihre Heuchelei geredet? Wenn die zweite Gemahlin des Königs daran zurückdachte, drehte sich alles in ihrem Kopf. Dieser Gespräche überdrüssig, von Dolentes Beharrlichkeit erschöpft, hatte sie sich endlich zum Handeln entschlossen.
Auf einen niedrigen Tisch aus Sykomorenholz, der mit blauen Lotosblüten bemalt war, hatte Iset zwei Schalen mit Karobensaft gestellt. Diejenige, die sie Nefertari anbieten würde, enthielt ein Gift, dessen Wirkung sich erst später einstellen sollte. Wenn die Große königliche Gemahlin in vier oder fünf Wochen
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