Ramses 4 - Die Herrin von Abu Simbel
sich tief vor ihm und küßte den Saum seines Gewandes.
«Ich hatte schon solche Angst, dich nie wiederzusehen!»
«Aber ich habe dir doch versprochen zurückzukommen. Die Tage der inneren Einkehr in der Sonnenstadt bestärkten meinen Glauben an Aton, den alleinigen Gott, der schon bald über dieses Land herrschen wird.»
Verzückten Blicks betrachtete Dolente den Magier mit dem Raubvogelgesicht. Er schlug sie vollkommen in seinen Bann, er, der Prophet der wahren Religion. Morgen würde seine Stärke das Volk leiten, morgen würde er Ramses stürzen.
«Deine Hilfe ist für uns sehr wertvoll», beteuerte Ofir mit sanfter, tiefer Stimme. «Wie könnten wir ohne dich unseren Kampf gegen diesen gottlosen und verhaßten Tyrannen führen?»
«Ramses nimmt sich vor mir nicht mehr in acht; ich glaube sogar, er traut mir von neuem, weil ich mich für seinen Freund Moses eingesetzt habe.»
«Was hat der Pharao vor?»
«Er hat die Verwaltung der Schutzgebiete im Norden
‹Söhnen des Königs› übertragen und sie unter Achas Befehl gestellt.»
«Dieser verfluchte Gesandte!» schimpfte Chenar. «Er hat mich betrogen und sich über mich lustig gemacht. Aber ich werde mich rächen, ich werde ihn zertreten, ich werde…»
«Es gibt Vordringlicheres», fiel ihm Ofir barsch ins Wort.
«Hören wir Dolente zu.»
Ramses’ Schwester war stolz darauf, eine wichtige Rolle zu spielen.
«Das Königspaar wird eine lange Reise antreten.»
«Wohin?»
«Nach Oberägypten und Nubien.»
«Ist dir auch bekannt weshalb?»
«Ramses möchte der Königin ein ungewöhnliches Geschenk machen. Einen Tempel, so heißt es.»
«Ist das der einzige Grund für diese Reise?»
«Der Pharao will noch die Mächte der Götter stärken, sie vereinen, ihre Wirkkraft erhöhen und ein schützendes Netz über Ägypten breiten.»
Chenar lachte höhnisch.
«Verliert mein vielgeliebter Bruder etwa den Verstand?»
«Nein», entgegnete Dolente. «Er fühlt sich von geheimnisvollen Widersachern bedroht. Ihm bleibt keine andere Wahl, als die Hilfe der Götter zu erflehen und eine unsichtbare Armee aufzubauen, um gegen die Feinde anzukämpfen, die ihm Furcht einflößen.»
«Ihm verwirren sich die Sinne», befand Chenar, «und er fällt mehr und mehr seinem Wahn anheim. Eine Armee aus Göttern! Das ist ja lächerlich…»
Der Bruder des Königs spürte Ofirs eisigen Blick.
«Ramses hat die Gefahr bemerkt», stellte Ofir fest.
«Du glaubst doch nicht, daß…»
Chenar verstummte. Der Magier strahlte erschreckende Gewalttätigkeit aus. Für einen Augenblick zweifelte der ältere Bruder des Herrschers nicht mehr an den verborgenen Fähigkeiten des Libyers.
«Wer beschützt den kleinen Kha?» erkundigte sich Ofir bei Dolente.
«Setaou, der Schlangenbändiger. Er gibt sein Wissen an Ramses’ Sohn weiter und hat um ihn herum Kräfte aufgebaut, die jeden Angriff abwehren sollen, woher er auch kommen mag.»
«Den Schlangen wohnt die Magie der Welt inne», räumte Ofir ein. «Wer mit ihnen Umgang pflegt, kennt sie auch. Dank der Binse des Kindes wird es mir dennoch gelingen, diesen Schutzschild zu zerstören. Aber ich werde länger brauchen, als ich vorgesehen hatte.»
Dolentes Gefühl lehnte sich gegen den Gedanken auf, daß Kha unter dem Krieg der Geister leiden mußte, doch ihr Verstand beugte sich den Plänen, mit denen der Magier sein Ziel verfolgte. Dieser Angriff würde Ramses schwächen, seinen Ka verringern und ihn vielleicht dazu bewegen, daß er dem Thron entsagte. Wie grausam der Kampf auch werden mochte, sie würde sich ihm nicht widersetzen.
«Wir müssen nun Abschied nehmen», befand Ofir.
Dolente klammerte sich an das Gewand des Magiers.
«Wann sehe ich dich wieder?»
«Chenar und ich werden die Hauptstadt für einige Zeit verlassen. Wir können nie lange an einem Ort verweilen. Du wirst es als erste erfahren, wenn wir wieder hier sind. Sperre inzwischen weiterhin Augen und Ohren auf!»
«Ich werde auch weiterhin den wahren Glauben verbreiten», beteuerte sie.
«Gibt es denn etwas Wichtigeres?» murmelte Ofir mit verständnisinnigem Lächeln.
VIERUNDZWANZIG
UM DEN FREISPRUCH ZU feiern, hielten die Ziegelmacher in ihrem Viertel ein riesiges Festessen ab. Es gab dreieckige Brote, geschmortes Taubenfleisch in würziger Tunke, gefüllte Wachteln, Feigenmus, starken Wein und kühles Bier. Alle sangen die ganze Nacht hindurch, und immer wieder riefen sie:
«Moses, Moses, Moses», denn er war inzwischen der bekannteste und
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