Ramses 4 - Die Herrin von Abu Simbel
Landschaft Chenar für einen Augenblick ins Wanken.
Was konnte er Ramses eigentlich vorwerfen? Seit dem Beginn seiner Herrschaft hatte Sethos’ Nachfolger keinen Fehler begangen, weder seinem Land noch seinem Volk gegenüber. Er hatte Ägypten vor Unheil beschützt, hatte sich als tapferer Krieger erwiesen und wahrte gleichermaßen Wohlstand und Gerechtigkeit.
Was konnte er ihm also vorwerfen außer der Tatsache, daß er Ramses der Große war?
FÜNFUNDZWANZIG
IN EINER RATSVERSAMMLUNG, bei der die führenden Vertreter der Armee und der Kaufleute zugegen waren, erinnerte Muwatalli an die Worte eines seiner Vorgänger: «Dieser Tage ist Mord innerhalb der königlichen Familie keine Seltenheit.
Die Gemahlin des Herrschers wurde ebenso ermordet wie sein Sohn. Um derlei beklagenswerte Vorkommnisse fortan zu verhindern, ist es vonnöten, ein Gesetz zu erlassen, auf daß niemand mehr ein Mitglied der königlichen Familie töte.
Niemand erhebe das Schwert oder den Dolch wider sie, und man lasse Einvernehmen walten, um einen Thronfolger für den Herrscher zu finden.»
Mit aller Entschiedenheit beteuerte der König, daß seine Nachfolge geklärt sei, beglückwünschte sich dazu, daß die Zeit des Mordens der Vergangenheit angehöre, und versicherte sowohl Hattuschili als auch Uriteschup erneut seines Vertrauens. Dann übertrug er diesem den Oberbefehl über das Heer und betraute jenen mit der Aufgabe, Handel und Wandel zu fördern und die engen Beziehungen zu den fremdländischen Verbündeten aufrechtzuerhalten. Damit entzog er seinem Bruder jedweden Einfluß auf die Armee und machte seinen Sohn unantastbar.
An Uriteschups triumphierendem Lächeln und Hattuschilis enttäuschter Miene war abzulesen, wen Muwatalli zu seinem Nachfolger erkoren hatte, ohne dessen Namen auszusprechen.
Der König gab keine weitere Erklärung zu seinen Entscheidungen ab und verließ müde und gebeugt, den Mantel aus roter und schwarzer Wolle eng um sich gezogen, unter dem Schutz seiner Leibwache den Saal.
Vor Wut wie von Sinnen, trampelte die schöne Priesterin Puducheba auf den silbernen Ohrringen herum, die ihr Gemahl, Hattuschili, ihr erst tags zuvor geschenkt hatte.
«Das ist unglaublich! Dein königlicher Bruder erniedrigt dich in einer Weise, die nicht zu überbieten ist, und du hast davon nicht einmal etwas gewußt!»
«Muwatalli ist ein verschwiegener Mensch… Außerdem behalte ich doch wichtige Ämter.»
«Ohne die Armee bist du nur noch ein Hofnarr, auf Gedeih und Verderb Uriteschup ausgeliefert.»
«Ich habe nach wie vor gute Freunde unter den Heerführern und den Offizieren in den Festungen, die unsere Grenze schützen.»
«Aber der Sohn des Königs herrscht bereits in der Hauptstadt.»
«Uriteschup schreckt all jene ab, die mit Vernunft begabt sind.»
«Und welche Reichtümer müssen wir ihnen bieten, damit sie nicht in sein Lager überlaufen?»
«Die Kaufleute werden uns beistehen.»
«Weshalb hat der König seine Meinung geändert? Er war damit einverstanden, daß ich seinen Sohn aus dem Weg räume.»
«Muwatalli handelt nie ohne Überlegung», gab Hattuschili zu bedenken. «Wahrscheinlich hat er sich den Drohungen aus den Kreisen der Armee beugen müssen. Um sie zu beschwichtigen, hat er Uriteschup seine ehemaligen Rechte wiedergegeben.»
«Das ist überaus töricht! Dieser vom Krieg Besessene wird daraus Nutzen ziehen, um die Macht an sich zu reißen.»
Hattuschili dachte lange nach.
«Ich frage mich, ob der König nicht versucht hat, uns auf sehr hintergründige Art eine Botschaft kundzutun. Uriteschup wird der starke Mann von Hatti, folglich mißt er uns keinerlei Bedeutung mehr bei. Ist das nicht der beste Augenblick, ihn umzubringen? Ich bin überzeugt, daß der König dir damit nahelegt, dich zu beeilen. Du mußt zuschlagen, und zwar sehr schnell.»
«Ich hoffe, Uriteschup kommt an einem der nächsten Tage in den Tempel der Göttin Ischtar, um zu beten und die Seher zu befragen. Seit dieser Ernennung ist es dringend geboten, die Eingeweide eines Geiers zu Rate zu ziehen. Der neue Befehlshaber der hethitischen Armee müßte doch begierig darauf sein, etwas über seine Zukunft zu erfahren. Dann werde ich meines Amtes walten. Sobald ich ihn getötet habe, werde ich erklären, er sei dem Zorn des Himmels zum Opfer gefallen.»
Mit Zinn, Stoffen und Nahrungsmitteln schwer beladen, trotteten die Esel gemächlich in die hethitische Hauptstadt hinein. Die Karawanenführer trieben sie zu einem Handelshaus, in
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