Ramses 4 - Die Herrin von Abu Simbel
Gefahr, unterzugehen oder in Brand zu geraten, war nun zwar abgewehrt, aber die Lage im Heck wurde immer bedrohlicher. Die Söldner hatten Enterhaken an Bord des königlichen Schiffes geworfen und begannen an den Seilen emporzuklettern. Wie von Sinnen schoß ihr Anführer Pfeil um Pfeil ab, so daß die Mannschaft nicht eingreifen konnte.
Zwei brennende Pfeile trafen das Segel, doch wieder löschte Lotos das Feuer, ehe es sich ausbreiten konnte. Obwohl Ramses dem feindlichen Beschuß ausgesetzt war, blieb er auf dem Dach der Kajüte stehen und führte den Kampf fort. Als hinter ihm Geschrei ausbrach, drehte er sich um und sah, wie ein Söldner seine Axt über dem Kopf eines unbewaffneten Schiffers schwang.
Der Pfeil des Herrschers durchbohrte ihm das Handgelenk, und er wich, vor Schmerz aufheulend, zurück. Schlächter hieb seine Fangzähne in den Kopf eines anderen Söldners, dem es ebenfalls gelungen war, an Bord zu klettern.
Für einen kurzen Moment trafen sich die Blicke des Pharaos und des Anführers der Bande, eines bärtigen Mannes, der in größter Erregung auf Ramses zielte. Unmerklich trat der Herrscher einen Schritt nach links, und der Pfeil flog dicht an seiner Wange vorbei. Darauf erteilte der Angreifer seinen ihm noch verbliebenen Männern wutentbrannt den Befehl zum Rückzug.
Eine von neuem aufflackernde Flamme überraschte Lotos, und ihr Kleid fing Feuer. Deshalb sprang die Nubierin flugs ins Wasser, hatte jedoch das Pech, in den Sog des ersterbenden Strudels zu geraten. Von dem Wasserwirbel in die Tiefe gezogen, vermochte sie nicht zu schwimmen und hob, um Hilfe bittend, einen Arm.
Da sprang Ramses ihr nach.
Als Nefertari aus der Kajüte kam, sah sie gerade noch den König im Nil verschwinden.
DREISSIG
DIE ZEIT VERSTRICH. Das königliche Schiff und die Geleitboote hatten auf der Höhe der Sonnenstadt in den wieder zur Ruhe gekommenen Wassern Anker geworfen. Drei oder vier Söldnern war die Flucht gelungen. Ihr Schicksal beschäftigte indes weder Nefertari noch Setaou. Wie Schlächter behielten auch sie die Stelle im Auge, an der Ramses und Lotos verschwunden waren.
Die Königin brachte der Göttin Hathor, der Herrin über die Schiffahrt, Weihrauchopfer dar. Ruhig und würdevoll erwartete sie die Meldungen derer, die man auf die Suche nach den Vermißten geschickt hatte. Die einen schwammen und tauchten im Fluß, die anderen liefen die Treidelpfade entlang, um die schilfbewachsenen Ufer besser erkunden zu können.
Wahrscheinlich hatte die Strömung den König und die Nubierin weit abgetrieben.
Setaou blieb in Nefertaris Nähe.
«Ramses wird zurückkommen», sagte sie leise.
«Majestät… der Fluß ist zuweilen erbarmungslos.»
«Er wird zurückkommen, und er hat Lotos gerettet.»
«Aber Majestät…»
«Er hat sein Werk noch nicht vollendet, und ein Pharao, der sein Werk nicht vollendet hat, kann nicht sterben.»
Setaou begriff, daß ihre feste Überzeugung nicht zu erschüttern war. Aber wie würde sie sich verhalten, wenn sie sich in das Unabänderliche fügen mußte? Er verdrängte seinen eigenen Schmerz, um den der Königin zu teilen. Dann malte er sich aus, wie furchtbar es sein würde, in die Hauptstadt zurückzukehren und dem Hof kundzutun, daß Ramses verschwunden war.
Während die starke Strömung sie etliche Meilen gen Norden trug, kamen Chenar und seine Gefährten allmählich wieder zu Atem. Sie versenkten ihre Barke, durchstreiften das grünende Fruchtland und tauschten schließlich einige Amethyste gegen Esel ein.
«Wohin jetzt?» fragte ein kretischer Söldner.
«Du reitest nach Pi-Ramses zurück und unterrichtest Ofir über die Ereignisse.»
«Er wird mich nicht gerade beglückwünschen.»
«Wir haben uns nichts vorzuwerfen.»
«Ofir schätzt Niederlagen nicht.»
«Aber er weiß, daß wir es mit einem starken Gegner zu tun hatten und daß ich mich keineswegs schone. Und du kannst ihm zwei gute Neuigkeiten überbringen. Die erste: Ich habe Setaou an Bord des königlichen Schiffes gesehen, demzufolge steht Kha nicht mehr unter seinem Schutz. Die zweite: Ich mache mich wie vorgesehen auf den Weg nach Nubien und werde Ramses dort töten.»
«Ich würde lieber mit dir ziehen», wandte der Kreter ein.
«Mein Freund ist ein ausgezeichneter Sendbote. Ich weiß zu kämpfen und kann auch Wild aufspüren.»
« Einverstanden.»
Chenar fühlte sich keineswegs entmutigt. Bei dem Überfall war der Krieger in ihm durchgebrochen. Endlich hatte er seiner in zu vielen Jahren
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