Ramses Mueller
zu begreifen und hör auf, mich zu kneifen«), versuchen gleichzeitig die drei in der Küche Verbliebenen, das postalkoholische Eis behutsam, aber ungeschickt abzutauen oder eher aufzuhacken, um die in ihm eingeschlossenen Fische freizubekommen, die vielen Missverständnisse, wer kam wie mit wem und warum in welches Bett, zu verlieren hatte keiner mehr etwas, man könnte von vorn beginnen, wenn man hier alles geklärt hätte, Lydia weint still, es läuft einfach so aus ihren Augen, Schubal denkt fahrig, sie bräuchte nur ein bisschen Seife, um die Tränen abzuwaschen.
Armin fängt an.
– Ich muss hier bald weg, ganz schnell, bitte komm mit, Lydia.
– Und warum?
Lydia schaut ihn fragend an, Schubal beginnt die Teller abzuräumen und die restlichen Toasts mit einer Frischhaltefolie abzudecken, er wird so emsig, als sei das hier ein neues Heim für ihn, vielleicht auch eine Flucht aus den Ereignissen, den eingebildeten, den vertanen und den tatsächlichen, ganz sicher sogar, wer sauber macht, hinterlässt zumindest äußerlich Ordnung, deswegen haben Junkies auch immer frisch gewaschene Haare, innerlich verwüstet, außen proper, oben zumindest, auf dem Kopf.
– Ich pack das einfach alles nicht mehr, gestern kannten wir uns noch alle gar nicht, dann die Nacht, also zuerst der Abend mit Blüm und so, und ich weiß nicht.
– Was?
– Du und ich, also mir bedeutet das nicht nichts, wie dir, du kannst gleich wieder zum nächsten Programmpunkt übergehen, du überschminkst dir einfach die Lippen, und nicht nur die.
– Was bedeutet dir denn etwas? Der Abend?
– Lass uns abhauen.
– Du und ich, warum? Und er (sie deutet mit den Kopf auf Schubal) bleibt hier? Und nimmt der Zimbabwerin den Job weg?
– Das ist doch egal, komm, pack deine Sachen, du brauchst dich jetzt nicht zu schminken, zum Abschied schminkt man sich nicht.
– Ich will jetzt aber nicht weg.
– Dass wir geschmust haben, gestern, ich weiß nicht, war das für dich nur Smalltalk mit anderen Mitteln, Small-Talk für Fortgeschrittene, oder was, also für mich nicht, Küsse können wehtun, sehr sogar, wenn sie nicht dem Zweck dienen.
– Aber welchem Zweck?
– Dem heiligen.
– Außerdem, wir haben doch gar nicht geschmust.
Schubal wird hellhörig, er fängt an zu zittern, eine kleine Untertasse rutscht ihm aus den schaumigen Spülhandschuhhänden, den hellgrünen.
– Doch, in der Schlange vorm Klo haben wir uns geküsst, drinnen hatte einer tubaartige Flatulenzen.
– Das ist Unsinn, das hast du geträumt.
– Ich hab ganz was anderes geträumt.
– Was denn, dass Ramses schwul ist?
– Nein, von meiner Murmel.
– Von deiner WAS? Spinnst du? Ich bin doch keine Murmel.
– Ich hab ja auch nicht von dir geträumt und dich auch nicht durch eine Murmel ersetzt, hab ich doch gar nicht gesagt.
Schubal sammelt die Untertassensplitter zusammen, damit sich niemand verletzt.
– Warum träumst du denn von einer Murmel, ist das Ramses’ Murmel, wolltest du sie ihm wegnehmen, das Weltwissen, die geheiligte Murmel? Geht’s dir nicht gut?
– NEIN, MIR GEHT’S GUT, MIR GEHT’S SOGAR SEHR GUT!
Armin schreit, sein Gesicht reißt auf, er will hier raus, Ramses würde ihn gefangen halten, er deutet auf seinen unbestrumpften Fuß.
– Fußfessel, negative.
Er reißt die Frischhaltefolie vom Toastteller, wickelt sie um den Fuß, reißt mehrere Küchenschränke auf, findet eine Schachtel Corn-Frosties, schlüpft mit dem Fuß rein, es knirscht, er reißt sich das Hemd auf, wie einer, der den Blitzen bei Gewitter trotzt, die Knöpfe springen durch die Küche, er nimmt den vor Lydia auf dem Tisch liegenden Lippenstift, schminkt sich die Lippen und beschreibt sich ungelenk die Brust, man kann es nicht sofort lesen, er brüllt NIE WIEDER ANTIFASCHISMUS, Lydia kreischt ebenfalls, er solle aufhören, schreit Schubal an, er soll endlich was tun, der sieht seine Chance, die doppelte Entmannung zu reparieren, haut dem tobenden Armin eine runter, eine Ohrfeige, die ziemlich schnalzt, Armin klettert auf den Tisch und versucht die Küchenlampe zu erreichen, immer wieder kräht er: »Yañez, Yañez«, es klingt wie ein japanischer Harakirischlachtruf, er will sich aus dem geschlossenen Fenster schwingen, aus dem 4. Stock, das wäre sein sicherer Tod, vorher von Scherben zerschnitten, sie wollen ihn fertigmachen wie Polanski in Der Mieter , immer wieder landet er auf dem Tisch, nimmt erneut Anlauf und schwingt gen Fenster, bis Schlingensief und
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