Ramses Mueller
Stuckrad-Ramses in die Küche stürmen und Armin von der Lampe quasi abpflücken, die Lampe reißt, Armin knallt mit dem Hinterkopf, klonk, auf den blau-weiß gekachelten Boden, er tritt weg, liegt da, roter Kopf, Lippen geschminkt, inmitten zerquetschter Beeren und Frühstücksfl ocken, wie ein Gemälde, Pointilismus heißt die Richtung wohl, ist hier aber kein Trost jetzt, Lydia schluchzt leise, Schlingensief hält ein Messer an Armins Nase, es beschlägt, er lebt. Schubal steht in der Ecke und zittert und reibt sich die Hand, er hat sich bei der Ohrfeige wehgetan. Ramses scheint sich zuerst zu fangen:
– Mann, Mann.
Während Schlingensief so was Ähnliches wie eine Mund -zu-Mund-Beatmung am immer noch reglos auf dem Boden liegenden Armin vornimmt, wodurch auch er sich die sogenannte Mundpartie wie ein trauriger Clown verschmiert.
– Stabile Seitenlage, sonst erstickt er an seinem eigenen Erbrochenen, hat er was gegessen, was hat er gegessen?
Schlingensief schaut fragend in die Runde, Schubal deutet mit der schmerzenden Hand, die immer noch im tropfenden, hellgrünen Spülhandschuh steckt, auf die Toasts, alle werkeln an Armin herum, drehen und wenden ihn, keiner weiß offenbar, wie die stabile Seitenlage geht, Armin kommt zu sich, hebt den Kopf, befühlt ihn, kein Blut, aber da wird wohl eine Beule wachsen, er lächelt.
– Hey Freaks, na, wie geht’s?
Lydia lacht, ein paar Resttränen kullern ihr die Wange runter und werden zu Erleichterungstränen und bleiben am Kinn hängen, alle lachen, erleichtert sitzen sie am Tisch, Schlingensief und Armin mit den verschmierten Mündern, eine Art Kindergeburtstag, erhitzte, rote Bäckchen, zu viel Torte, Tränen, Enttäuschung wegen falscher Geschenke, Schminke, Ausgelassenheit, es scheint, als hätte Armin durch den Sturz zumindest seine tarzanartige Eskapade wieder vergessen. So ist es aber nicht, er weiß, er vermutet, dass sie das jetzt glauben, es soll eine neue Chance für ihn sein, ein abermaliger Neubeginn, er stellt sich jetzt einfach mal ganz doof, er weiß von gar nichts, er hatte vorhin an der Lampe schon ganz Recht, er hat Armin ermordet, so viele Versuche hat es schon gegeben, aber nichts hat geklappt, immer hat ihn die junge Vergangenheit eingeholt, jetzt muss der Holzhammer her, Amnesie, herrliches Wort, sollen die anderen sehen, wo sie bleiben, er kann jetzt lachen, pah, Neruda, was für ein Scheiß, wie gut, dass er das blöde Buch losgeworden ist, es ist ihm immer schwergefallen, d. h., es ist ihm noch nie gelungen, ein Buch wegzuschmeißen, das macht man nicht, das gehört sich nicht, und jetzt hat er mit dem Neruda so lange gewartet, hatte gehofft, dass es sich in der Tasche aufl öst, in die Tasche hineinwächst oder total zerfl eddert, dass es nicht mehr als Buch erkennbar ist, dann hätte man es mit Berechtigung wegschmeißen können, kann man buchstäblich nicht mehr lesen, Ich bekenne, ich habe gelebt , aber jetzt hat es Schlingensief wieder (?), wie und warum, das ist ja jetzt vollkommen einerlei, das verdrängt man jetzt erst mal, irgendwann wird sich das vielleicht mal klären, aber jetzt weiß er ja von nichts, mal sehn, wie es jetzt weitergeht, die Geschichte von hinten aufrollen, jetzt Punkte sammeln, er grinst, vielleicht ein bisschen zu debil, mal einen Gang runterfahren, muss man ja nicht übertreiben, mal zu Hause dann nachsehen, ob man durch eine Gehirnerschütterung sein Gedächtnis verlieren kann, oder Teile davon, und wenn, wie viele, jüngere, ältere, wichtige, unwichtige, unterbewusste? Schubal, der Idiot, hat ihn zumindest durch die Ohrfeige aufgeweckt, aber jetzt denkt er, er, Armin, kenne ihn nicht, ihn mal angrinsen, ha, er schaut zu Boden, der verklemmte Listenaffe. Aber er hat DOCH mit Lydia geschmust, sie hat das nur vergessen, oder will es nur vergessen, weil sie auf Ramses steht oder so was, oder Lesbe ist, und er hat sie umgedreht, und das kann sie nicht akzeptieren, Lesben mögen es nicht, wenn man sie »umdreht« oder das versucht, aber sie sieht nicht aus wie eine Lesbe, hat bessere Lippen, Lesben haben unbehaglich verkniffene Lippen, säuerliche Münder, wie Drahtspangen, die verzogen sind, als sei ihnen ein Leid angetan worden und als zwänge man sie zum Lächeln, eine Grimasse der tiefsten Enttäuschung, er kennt zwar keine Lesbe, aber allein das Wort ist schon so, eben so wie diese Drahtklammer des Verzichts.
– Und jetzt? Was machen wir jetzt?
Armin scheint »gut drauf« zu sein, ein Sturz wie eine
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