Rangun
»Ihr habt euch Zeit gelassen! Ich sollte euren Preis halbieren!«
»Tut das nicht, schöne Dame! Wir waren Tag und Nacht unterwegs. Wir mußten einen Ochsen nach einem Schlangenbiß erschießen!«
»Keine Entschuldigungen!« Sie nickte zum Drehrad der Zugbrücke. »Beeil dich, Quang. Ich gehe ihnen entgegen.«
Er winkte eine Wache heran. »Wo Sam, geh mit ihr und überprüfe die Karren.«
Während Quang und eine andere Wache das Rad drehten, senkte sich die schwere Brücke knarrend herab. Nach wenigen Augenblicken hörte man einen schwerbeladenen Karren über die Brücke rumpeln. Offensichtlich darauf wartend, daß er nicht in den Graben stürzte, setzte sich der zweite Karren erst in Bewegung, als der erste das sich hebende Fallgitter fast erreicht hatte. Während der erste direkt unter das Fallgitter fuhr und überraschend stehenblieb, hielt der zweite am anderen Ende der Zugbrücke. »He, los schon«, brüllte Quang. »Wie lange braucht ihr denn? Wo Sam, sieh nach, was für Probleme die Narren haben!«
Wo Sam trottete zu dem Karren unter dem Fallgitter. Die Ochsen lagen auf den Knien. Rings um sie breiteten sich Blutpfützen. Da er keinen Kutscher sah, stieg er mit gezogenem Schwert vorsichtig auf den Wagen. Er sah die Fracht und fluchte. »Der Wagen ist voller Steine!« schrie er. »Zieht die Brücke...« Ein scharlachrotes Loch in seinem Genick schnitt ihm das Wort ab. Kalisha tauchte in die Schatten der massiven Mauer, wobei sie eine Pistole in ihrem Sari verschwinden ließ. Die Wachen richteten ihre Armbrüste nach unten, während Quang und sein Helfer an dem Rad und dem Hebel des Fallgitters zerrten. Die Zugbrücke bewegte sich unter dem steinbeladenen Karren nicht. Das Fallgitter rasselte auf den anderen Karren, blieb aber offen wie ein zahnbewehrter, nutzloser Mund. Quang schlug Alarm und rief nach Verstärkung, als eine bunte Horde aus dem Dschungel drang und über die Zugbrücke stürmte. Verstärkung kam nicht. Auf den Pritschen unten im Wachlokal lagen alle tot, vergiftet durch das Abendessen, das Kalisha ihnen geschickt hatte. Die zwölf Männer auf den Zinnen waren hoffnungslos unterlegen und starben rasch in einem nur Minuten währenden Handgemenge. Khandahoor fiel.
Bis auf einen Mann, der kein Fleisch aß und somit nicht vergiftet war. Als die Sonne sich über den nebelverhangenen Dschungel hob, erwachte Lysistrata durch einen feinen Geruch aus dem Burggraben. Obwohl sie Appetit hatte, verlor sie das Interesse am Frühstück durch den ungewohnten Geruch. Mit ungutem Gefühl schaute sie aus der Tür. Kapitän Chou Shih hockte auf der Veranda. Seine Anwesenheit war überraschend, da er nie in ihren Garten, geschweige denn zum Bungalow gekommen war. Da er keine Anstalten machte einzutreten, sah sie ihn neugierig an. Sie zu bewachen war unsinnig. Entweder war er in Rams Auftrag hier oder um sie zu ermorden. »Chou Shih«, rief sie leise, »warum bist du hier?«
Er hob den Kopf etwas, drehte sich aber nicht um. »Dank Lady Kalisha ist Khandahoor in die Hände von Piraten aus Sittang gefallen, Mylady. Sie plündern jetzt, aber bald werden sie hierherkommen. Mein Gebieter Ram befahl mir, über Euch zu wachen.« Er schwieg kurz. »Wenn Ihr wollt, werde ich Euch ohne große Schmerzen töten. Finden sie Euch lebend, werden sie nicht freundlich sein.«
»Ich habe ein Messer, Chou Shih«, erwiderte sie ruhig. »Sicher wird einer von ihnen für meine Gefälligkeiten mit seiner Haut zahlen. Würdest du dich selbst eher töten statt zu kämpfen?«
Er kicherte. »Ich verstehe jetzt, warum mein Gebieter Euch bevorzugt. Ich bin geehrt, eine so feurige Tigerin hinter mir zu haben.«
»Und ich, einen so ritterlichen Beschützer zu haben. Wir werden gemeinsam gut jagen.«
»Und schnell.« Er erhob sich. »Sechs von ihnen kommen.«
Lysistrata empfand mehr Erleichterung als Furcht. Sittang-Piraten waren Todfeinde der Shan, und der Sittang-Fluß war weit von Lashio entfernt, was bedeutete, daß Ram wahrscheinlich nicht in einen Hinterhalt geraten war... es sei denn, Kalisha hatte die Shan belogen, was die Erbeutung Khandahoors betraf, und sie hinter ihm hergeschickt. Da sie das nicht wußte und jetzt über Rams Schicksal nichts erfahren würde, nährte sie die Hoffnung, daß er in Sicherheit sei, wie einen Talismann.
Chou Shih bezog mit erhobenem Schwert hinter der Tür Position. Er ließ den ersten Mann hinein und durchschlug den zweiten rasch. Der erste wirbelte herum, wurde aber von einem Schlag in die
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