Raniels Engelwelt
erkannten wir an den Fahrzeugen, die in der Nähe parkten. Da konnten es die Engelsjünger wohl nicht erwarten. Dabei waren wir auch eine Viertelstunde zu früh eingetroffen, aber darum kümmerten wir uns nicht.
Ich stellte den Rover dort ab, wo auch die anderen Fahrzeuge standen. Der Blick auf die Fassade erlaubte uns auch die Sicht auf mehrere Dachgauben. Sie waren nicht besonders groß, und wir erkannten, dass die Fenster keine Scheiben hatten, was auch seltsam war.
Ich sah an der Frontseite die größeren Fenster, doch einige von ihnen waren undurchsichtig gemacht worden. Man hatte sie von innen mit weißer Farbe bestrichen.
Bill schüttelte den Kopf. »Eine goldene Tür. Dass es so was noch gibt.«
»Und darüber der Engel.«
»Richtig.«
Es war eine recht große Figur. Sie stand auf einem Sockel, beugte sich dabei nach vorn und hielt die Arme ausgebreitet, als wollte sie die Besucher segnen. Der Engel war aus Holz geschnitzt. Er trug ein helles Gewand, und seine Haarflut schimmerte golden.
»Das ist schon beeindruckend für den, der hier sein Seelenheil sucht«, meinte Bill.
»Ja, er wird sofort getröstet. Der Engel mag ihn. Er liebt die Menschen, das zeigt er sehr deutlich.«
»Dann hoffe ich nur, dass er auch uns liebt.«
»Abwarten.«
Wir ließen die letzten Meter hinter uns und blieben zunächst vor der Tür stehen. Da sie nicht von selbst aufging, suchten wir nach einer Klingel oder einem Klopfer.
Es gab eine Klingel. Ihr Knopf wuchs aus einem goldenen Strahlenkranz hervor. Zu betätigen brauchten wir sie nicht, denn vor uns wurde die Tür geöffnet.
Gegen einen Engel schauten wir nicht. Dafür gegen einen jüngeren Mann, der bei ersten Hinschauen aussah wie ein Kellner. Er trug zu den schwarzen Schuhen eine ebenfalls schwarze Hose und als Oberteil ein weißes Hemd, das er nicht in die Hose gesteckt hatte. Es endete an seinen Hüften. Auf dem Hemd lasen wir den goldene Druck:
Engel sind die besseren Menschen
Jeder trug seine Zugehörigkeit eben anders vor sich her, und ich hatte im Leben schon so viel erlebt, dass ich mich über gar nichts mehr wunderte.
»Ihr seid die beiden Neuen!«
»Genau. Ich bin Bill und habe mit Mona gesprochen.« Er deutete auf mich. »Das ist John.«
»Ja, fein, das freut mich.« Das weiche, fast schon feminine Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. Mit einer etwas künstlich wirkenden Bewegung drückte er sein Haar zurück, und wir sahen an seinen Ohrläppchen goldene Ringe schimmern.
»Kommt in die Geborgenheit des Hauses. Ich heiße übrigens Jason.«
»Mit Nachnamen vielleicht Dark?«, fragte Bill.
Der Typ schüttelte den Kopf. »Ähm... nein, wie kommen Sie denn darauf?«
Bill winkte ab. »Ach, nur so. War ein Joke.«
»Wie nett. Aber bitte, kommt rein und fühlt euch wohl bei uns.«
»Das hoffen wir doch.«
Wir betraten eine Diele und standen auf einem Holzboden, der weiß gestrichen war. Überhaupt herrschte diese Farbe vor, wurde aber an manchen Stellen von einer beigen Holzfarbe abgelöst, zum Beispiel bei dem hohen Wandschrank mit den zahlreichen Türen.
Jason führte uns dorthin. Hinter einem Pult blieb er selbst stehen und schaute uns fast geschäftsmäßig an. Dabei hielt er eine kurze Rede.
»Es ist hier üblich, dass für gewisse Dienstleistungen kein Geld genommen wird. Allerdings muss ich schon jetzt darauf hinweisen, dass dieses Haus von Spenden lebt und auch überlebt. Daran solltet ihr denken, wenn ihr mit euren Problemen aus euch herausgeht und den Engel um Hilfe bittet.«
»Klar«, sagte Bill. »Umsonst ist der Tod, und der kostet leider noch das Leben.«
»Wie Recht du hast.« Jason lächelte breit. »Ab jetzt gibt es keine Förmlichkeiten. Wir sind alle gleich. Brüder unter Brüdern...«
»Und was ist mit den Schwestern?«, fragte Bill.
»Die gibt es auch.«
»Tatsächlich?«
Jason ging auf die Frage nicht näher ein. Er sprach uns auf ein anderes Problem an. Dabei schaute er uns direkt an. »Da gibt es noch ein anderes Problem«, erklärte er mit seiner sanften Stimme. »Wir haben hier unsere Regeln, an die sich alle halten müssen. Auch ihr seid davon nicht befreit.«
»Welche denn?«
»Handys, Bill. Du musst dein Handy abgeben. Stell es zuvor ab und gib es in unsere Obhut.«
»Warum das denn?«
»Es stört, wenn...«
»Aber es stört nicht, wenn ich es abgestellt habe.« Jason hob nur die Schultern, während ich mein Handy hervorholte. Ich stellte es ab und legte es auf das Pult des jungen
Weitere Kostenlose Bücher