Raniels Engelwelt
Gedächtnis geblieben, aber er wusste, dass es etwas mit ihm zu tun hatte, und zwar mit seinem Schicksal.
Er dachte über ihre letzten Worte nach. Wenn es nach den beiden so harmlos aussehenden Menschen ging, bedeutete dies seinen Tod. Er war das Opfer, das ihnen den Weg in die andere Sphäre öffnen sollte, und er würde sich selbst umbringen.
Genau das war der Strohhalm der Hoffnung, an den sich Bill Conolly festklammerte. Er würde sich niemals umbringen, das stand fest. Da konnten ihn zehn Waffen bedrohen. Das war mit ihm einfach nicht zu machen.
Allerdings waren sich die beiden sicher, und trotz seiner Lage war Bill gespannt, wie Jason und Mona es bewerkstelligen wollten, dass er sich selbst das Leben nehmen sollte...
jetzt würde es sich herausstellen, auf welcher Seite Elion stand. Ich hatte das Kreuz hervorgeholt und dachte gar nicht daran, es wieder verschwinden zu lassen. Als wollte ich einen Vampir abwehren, so hielt ich den geweihten, silbernen Talisman in meiner rechten Hand, und Elion konnte ihn einfach nicht übersehen.
Er blieb stehen.
Er wusste nicht, was er tun sollte. Erst Sekunden später entschloss er sich zu einer hilflosen Geste, in dem er beide Arme anwinkelte und sie halb anhob. Mehr konnte er nicht tun, wobei er trotzdem stöhnte.
Seine Haltung veränderte sich. Er bückte sich. Er senkte den Kopf, und auf seinen Lippen erschien heller Speichel oder zumindest etwas, was wie Speichel aussah.
Ich sprach ihn wieder an, und es tat mir gut, so reden zu können. »Engel haben das Kreuz gezeichnet, Elion. Aber du scheinst mir kein Engel zu sein. Liege ich da richtig?«
Er wollte etwas sagen, aber nur ein Zischen drang aus seinem Mund.
Ich ließ nicht locker. »Siehst du die Zeichen? Die Buchstaben an den Enden? Ich will dir sagen, was sie bedeuten. Das M steht für Michael, das G für Gabriel, das R für Raphael und das U für Uriel. Die vier Engel haben ihre Zeichen hinterlassen. Sie stehen auf meiner Seite. Willst du noch immer behaupten, dass du hier die Oberhand hast?«
Er ging zurück. Er duckte sich dabei und streckte mit seine rechte gespreizte Hand entgegen, als wollte er das Kreuz abwehren.
Aber auch ich war einigermaßen überrascht, weil ich keine Wärme spürte, die das Kreuz normalerweise bei einem Gegner abgab. Da war auch kein Licht, das über das Metall gehuscht wäre. Es verhielt sich neutral, und trotzdem hatte diese Gestalt Furcht davor. Da stimmte etwas nicht.
»Was ist, Elion? Kannst du nicht mehr reden? Hat dir das Kreuz Furcht eingejagt? Bist du kein normaler Engel, sondern ein Dämon in der Gestalt eines solchen? Hast du dich so bei Raniel einschleichen können?«
Er schüttelte den Kopf. »Verflucht«, flüsterte er, »was ist das denn? Ich will...«
Was er wollte, erfuhr ich nicht. Seine pupillenlosen Augen rollten. Er schrie noch einmal auf, um sich dabei mit einer wilden Bewegung herumzuwerfen.
Dann – floh er!
***
Bill Conolly blieb weiterhin auf dem Rücken liegen und wurde mit der Waffe bedroht. Die Mündung kam ihm vor wie ein leeres Auge.
Bill sah diesen Jason nun deutlicher. Nein, ein halbes Kind war er nicht mehr. Mitte Zwanzig war er mindestens.
»Kannst du wieder reden?«
Bill fing an zu lachen. Dann sagte er: »Es war ja nur der Nacken, der getroffen wurde, nicht die Zunge.«
»Sei froh. Es hätte auch anders für dich kommen können, aber du bist noch wertvoll für uns.«
»Sicher«, flüsterte Bill. Auch wenn es ihm wehtat, so hob er trotzdem den Kopf leicht an und entdeckte seine Beretta. Jason hatte sie in den Hosenbund geschoben, und zwar recht weit vorn.
War das für ihn eine Chance? Nein, in seinem Zustand war er nicht schnell genug. Er musste Zeit gewinnen, bis er wieder einigermaßen okay war.
»Was ist mit meinem Freund John?«
»Das weiß ich nicht.«
»Doch«, flüsterte Bill, »du musst es wissen. Ihr habt ihn nicht erwischt, aber...«
»Dafür Pamela, ich weiß. Sie wird ihn mit in Elion’s Welt mitgenommen haben. Was das bedeutet, kannst du dir vorstellen. In seine Welt dürfen nur Menschen hinein, die auch eingeladen sind. Das ist ein großer und für manche auch tödlicher Unterschied. Ich denke, dass man das deinem Freund bereits klargemacht hat.« Jason lachte dreckig.
»Es steht nicht fest, dass John tot ist.«
»Du kennst die Regeln nicht. Sie sind aufgestellt worden, damit sie befolgt werden. Kein Mensch wird oder kann sie ändern, das glaub nur ja nicht.«
Bill quälte sich ein Grinsen auf die Lippen.
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