rank und schlank und rattenscharf
Morgentau pitschnass, meine meisten anderen Sachen auch. Die Sonne scheint noch nicht; ich packe meine Sachen nass ein. Es ist halb zehn als ich fertig bin und losgehe.
Ich laufe mutterseelenallein, nicht ein einziger Pilger. Willi wird schon drei Stunden unterwegs sein und einen riesigen Vorsprung haben. Ist mir im Moment egal wo er ist, ich trotte allen anderen zufrieden hinterher. Das schöne ist: Ich habe mein Vertrauen wieder gefunden. Ich lasse Kira ohne Leine vor mir herlaufen, sie genießt es sichtlich. Der Mann aus dem Pilgerbüro hatte mich total verunsichert.
Der Vormittag ist ruckzuck um, ich lege mich in die Sonne und mache einen langen Mittagsschlaf. Bevor ich weiterlaufe, schaue ich auf mein Handy. Eine SMS von Willi:
Hallo Buggi, ich bin hinter Pamplona in Cizur Mayor wieder in einem Refugio.
Ich schreibe zurück: Willi, ich werde dorthin kommen.
Ich laufe stundenlang, jeder Schritt schmerzt. Mittlerweile haben sich neue Blasen gebildet, jetzt auch am linken Fuß, und ich humple langsam vorwärts. Vor uns liegt die große Stadt Pamplona, die es mit Kira zu durchwandern gilt.
Ich merke, dass die Leute uns beobachten. Ich versuche so gut es eben geht, nicht zu humpeln und nicht so ein schmerzverzerrtes Gesicht zu ziehen, was mir zusehends schwerer fällt. Wir laufen durch eine große Parkanlage, abseits des Weges über die grüne gemähte Rasenfläche. Ein Pilgerweg mitten durch einen Stadtpark, das war vor hunderten von Jahren bestimmt anders.
Ich habe fast den Parkrand erreicht, als ich von einem Mann darauf aufmerksam gemacht werde, dass ich falsch bin. — Woher weiß der denn, wo ich hin will? „Ich will nach Santiago de Compostela.“ — Seine Handbewegung deutet mir an, ihm zu folgen. Er hält seine Aktentasche unter dem Arm und ich laufe ohne ein Wort zu sagen neben ihm her. Er hat einen strammen Feierabendschritt drauf und ich kann ihm kaum folgen. Irgendwann zeigt er nach links in eine Straße in die ich gehen soll, da gehts weiter. „Gracias.“ — „Buen Camino.“
Ich marschiere weiter, weiter, weiter. Irgendwo muss doch diese blöde Herberge sein, wo Willi ist. Ich stehe an einer großen Straßenkreuzung und suche nach den gelben Pfeilen, denen ich seit Tagen folge. Bin ich jetzt blind oder ist hier keiner? Da pfeift jemand. Ich suche fortan keinen Pfeil mehr, sondern denjenigen, der da pfeift. Auf der anderen Straßenseite ist ein Junge, der zu mir rüber winkt und mich auf einen gelben Pfeil an der Bordsteinkante aufmerksam macht. Klar doch, im richtigen Moment einer da, der mir weiter hilft.
Ich habe Pamplona hinter mir und komme in die Vororte. Es geht auf dem Bürgersteig immer an der Hauptstraße entlang und einen kleinen Berg hoch, rechts und links stehen Häuser. Hier muss es doch irgendwo mal sein, ich stolpere schon über meine eigenen Füße. Ich nehme meinen Rucksack ab, setze mich auf eine Wiese und schreibe eine SMS an Willi:
Ich bin da.
Willi antwortet: Warte auf mich, ich bin in einem Restaurant beim essen, bin gerade fertig und komme gleich.
Willi kommt von der anderen Straßenseite und hat eine Serviette in der Hand. Er hat Knochen für Kira mitgebracht und setzt sich zu mir. Kira freut sich, ihn wieder zu sehen — oder doch mehr über die eingepackten Knochen? Ich bin am Ende, ich kann nicht mehr. Jetzt kommt auch Christian angelaufen und setzt sich zu uns auf die Wiese.
Willi fragt:„Alles klar?“ — „Geht so.“ — „Burghard, geh mal unter die Dusche, Du müffelst schon. Dann legst Du Dich ‘ne Stunde auf mein Bett. Du bist ja völlig fertig.“ — „Ich kann nicht, Willi.“ — „Wie, Du kannst nicht?“ — „Wie soll ich das machen?“ — „Du kannst in meinem Bett schlafen.“ — „Und Du?“ — „Geh erst mal unter die Dusche, dann sehen wir weiter.“ — „Ich muss mein Zelt aufbauen, in einer halben Stunde wird es dunkel. Gestern Abend habe ich es gerade noch geschafft. Als ich mein Zelt aufgebaut hatte, war es stockdunkel.“
Willi sieht mich kopfschüttelnd an: „So kannst Du aber nicht weitermachen!“ — Ich wiederhole meine Frage: „Was soll ich machen, Willi? Ich habe mich dazu entschlossen, Kira mitzunehmen, und jetzt muss ich da durch!“ — „Ich habe Dir damals gleich gesagt, dass Du Probleme haben wirst!“
Christian schenkt mir einen Apfel und ich sitze da wie ein Häufchen Elend. Jetzt kommen auch noch die beiden Frauen angelaufen, die ich gestern im Wald getroffen habe. Die
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