rank und schlank und rattenscharf
„Morning has broken“
- und ich höre ihm zu. Es liegen Brot und Wurst auf dem Tisch. Willi fragt mich, ob er noch eine Flasche Wein holen soll. „Eine haben wir schon getrunken.“ — „Um Gotteswillen, bloß keinen Wein! Ich bin froh, dass ich mein Leben habe. Hole mir bitte Wasser, Willi.“ — Er geht los und kommt mit einer gefüllten Flasche zurück. Ich frage: „Was soll das denn jetzt? Ich habe gedacht, wenn wir schon den ganzen Tag getrennt laufen, dass wir uns irgendwo wieder finden, um dann gemeinsam zu zelten? Warum schläfst Du denn jetzt in einem Refugio? Wofür hast Du Dein Zelt mitgenommen?“ — „Burghard, ich kann das nicht! Ich kann so nicht dahin vegetieren, wie die letzten zwei Tage! Ich brauche eine Dusche, ein Bett, Menschen, Kultur.“ — „Das hättest Du mir gleich sagen können!“
Irgendwie bin ich jetzt total enttäuscht, milde ausgedrückt. Von Anfang an läuft alles ganz anders, als ich es mir gedacht habe. Ich hatte es mir ganz anders vorgestellt. Vielleicht liegt es an mir, weil ich mit falschen Vorstellungen losgelaufen bin?
„Burghard, geh erst einmal unter die Dusche, dann wird es Dir gleich wieder besser gehen.“ — „Willi, wie stellst Du Dir das denn vor? Duschen?“ — Wenn ich nur daran denke, mich ausziehen zu müssen, duschen, anziehen, das alles im Eiltempo. Dazu bin ich jetzt zu schwach, mein Akku ist restlos leer, mir fehlt die Energie. In wenigen Minuten geht die Sonne unter und ich habe noch keinen Schlafplatz. Ich muss mein Zelt noch aufbauen. — „Willi, ich kann nicht duschen gehen. Was soll ich mit Kira machen?“ — „Auf Kira passe ich schon auf.“ — Kira würde die ganze Zeit nur kläffen. Ich muss das Dorf so schnell wie möglich verlassen, bevor es dunkel wird. — „Willi, fülle mir bitte noch mal meine Wasserflaschen auf, ich muss los.“ — Er hilft mir, meinen Rucksack hoch zu kriegen und begleitet mich noch bis zur Brücke, über die ich vor einer halben Stunde gekommen bin.
Ich bin noch nicht weit gelaufen, als von einem Bauernhof ein großer Hund auf uns losstürmt. Er sieht uns kommen und greift uns auch sofort an. Die Bäuerin schreit wie eine Sirene, und schon kommt ihr Mann angerannt und läuft mit großen Schritten seinem Hund hinterher. Als der Bauer bei uns ankommt, greift er sich meinen Pilgerstab. Damit schlägt er abwechselnd auf den Boden und auch auf seinen Hund ein. Kira habe ich an der Leine. Sie bellt wie von Sinnen und knurrt ihren Kontrahenten an. Ich reiße sie zurück, bis der fremde Hund vor den Stockschlägen flüchtet. Der Bauer gibt mir meinen Pilgerstab zurück und ich gehe so schnell wie ich kann weiter. — Die meiste Angst hatte ich um meinen Pilgerstab, ich dachte er würde ihn kaputt schlagen.
Nach einigen hundert Metern verlasse ich den Weg, krieche in gebückter Haltung durchs Unterholz und komme auf eine große Wiese. Sie liegt an einem Hang, den ich mit letzter Kraft hoch laufe. Auch hier sind wieder jede Menge Kuhfladen, etwas weniger als gestern. Ich freue mich, denn heute komme ich mal trocken und geregelt ins Zelt. Ein ganzer Tag ohne Gewitter.
Die Sonne ist schon untergegangen als ich mein Zelt aufbaue, Minuten später ist es stockdunkel. Gerade noch geschafft. Von wegen Wein und duschen, dann hätte ich ohne Zelt schlafen müssen.
Es ist 3.00 Uhr, ich habe den Schlaf aus. Seit Jahren habe ich massive Schlafstörungen und schlafe meistens nur wenige Stunden, dann aber tief und fest. Ich habe einen MP3-Player mit und höre stundenlang Lobpreislieder. Eine Wohltat nach all den Strapazen. Lobpreislieder sind für mich wie ein Gespräch mit dem Schöpfer.
Vor einigen Jahren war ich auf einer christlichen Wirtschaftskonferenz in Oberhausen. Dort habe ich zum ersten Mal diese Musik von einer Kölner Band gehört und seitdem bin ich von ihr fasziniert. Ich bin glücklich in meinem trockenen Zelt. Die Isomatten liegen gerade ausgerollt unter mir. Geht doch!
Es wird gerade hell, da klappern schon die Stöcke. Die ersten Pilger laufen plappernd unten am Weg entlang, mit dabei wird auch Willi sein. Ich schaue auf die Uhr, es ist noch nicht mal sieben Uhr. Es gibt zwei Möglichkeiten: Aufstehen oder liegen bleiben. Ich entscheide mich für die zweite Variante.
In einer äußerst unbequemen Haltung schreibe ich zum ersten Mal in meinem Tagebuch. Um 8.30 Uhr stehe ich auf und alle Pilger sind weg. Es herrscht absolute Ruhe auf dem Weg.
Als ich mein Zelt abbauen will, ist es vom
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