rank und schlank und rattenscharf
verabschiedet. Ab sofort beginnt meine Pilgerreise mit Kira.
Wir werden auch in Santiago de Compostela ankommen. Aber ich kann dieses mörderische Tempo nicht länger durchhalten. Letzte Nacht hatte ich meinen Rucksack ans Kopfende gelegt, das war fürchterlich hart und eng. Kira lag am Fußende, und jedes Mal, wenn sie sich aufrichtete, um sich auch mal umzudrehen, wurde ich wach.
Willi schreibt eine SMS: Schalte dein Handy um 17.00 Uhr wieder ein. Ich melde mich wieder.
Wir sind auf einem Plateau oben in den Bergen angekommen, als mein Trinkwasser erneut zu Ende geht. Es wird hier oben kein Wasser geben, nicht auf einem Berg. Viele Windräder drehen sich hier oben ganz behäbig, trotz des schwachen Windes. Ich hadere noch mit meinem Schicksal, da taucht wie aus heiterem Himmel ein Brunnen auf, aus dem zwar nur ein Rinnsal läuft, aber das ist egal. Zeit habe ich genug, Hauptsache ich habe Wasser.
Erkenntnis! Wasser ist das Kostbarste was es gibt auf der Welt, in manchen Situationen wertvoller als Gold und Edelsteine.
Mir folgt ein spanischer Pilger, der etwas später als ich am Brunnen ankommt. Ich habe keine Eile und lasse ihn zuerst an die Quelle. Er füllt seine Flasche und geht weiter. Nun bin ich an der Reihe. Ich habe wieder genug Wasser, eine große Menge trinke ich sofort, nicht ganz soviel wie ein Kamel, erst dann laufe ich weiter.
Ein großes, eisernes Kunstwerk steht hier auf diesem Höhenzug. Es zeigt die unterschiedlichsten Pilger in verschiedenen Epochen. Sie sind aus Stahlplatten heraus gebrannt und stehen angerostet, nach Jahrhunderten angeordnet, aufgereiht. Eine tolle Aussicht von hier oben. Ich bin ganz allein mit Kira, es herrscht absolute Stille, selbst die Windräder hört man nicht. Ist das hier schön. Ich könnte diesen wunderbaren Ausblick noch stundenlang genießen, doch die innere Unruhe treibt mich weiter, weiter nach Santiago de Compostela.
Jetzt wirds gefährlich, denn der Abstieg geht steil über Geröllhalden den Berg hinunter. Und weil es bergab geht, schmerzen alle Blasen an den Füßen, mittlerweile sieben Stück.
Ich muss mich kräftig mit meinem Stab abstützen. Es ist eine der schwierigsten Strecken bis jetzt und es dauert einige Zeit, bis wir unten im flachen Gelände ankommen. Ich setze mich in die Abendsonne, ziehe meine Schuhe und Strümpfe aus und beobachte große Ameisen bei ihrer Arbeit. Eine SMS an Anne:
Hallo Anne, mein Handy-Akku ist leer, ich melde mich wieder.
Eine SMS an Willi: Willi, du brauchst nicht warten, ich bin unterhalb der Windräder.
Kira liegt lang ausgestreckt vor meinen Füßen im Kornfeld. Ich muss wieder hoch und weiter. Es kommt eine SMS von Willi:
Laufe bis zum nächsten Ort, dort gibt es 57 Zimmer.
Eines würde mir reichen, am besten eins mit Dusche. Ich laufe bis zu besagtem Dorf, Uterga, gehe bis zum Ortsende und suche nach den 57 Zimmern. Schließlich finde ich ein Restaurant mit Zimmervermietung. Ich frage die Kellnerin, ob ich hier übernachten kann. „Perro, no.“ — Also mit Hund nicht. „Kann ich denn mit dem Hund hier essen?“ — „Essen geht.“ Sie erklärt mir in englischer Sprache, dass ich gegenüber der Kirche in einer Herberge kostenlos mit Hund übernachten kann. Ich gehe wieder zurück und finde die Kirche, aber keine Herberge. Auf der alten Steinbank vor der Kirche setze ich mich und ziehe mein nasses, durchgeschwitztes Hemd aus. Ich stehe mit freiem Oberkörper vor der Kirche. Hier ist keiner, und was soll’s. Alles was nass ist, verteile ich auf die umliegenden Sträucher. Um gleich einigermaßen gepflegt auszusehen, ziehe ich ein sauberes T-Shirt an. Meine Hose steht mittlerweile vor Dreck. Da nutzt ein sauberes T-Shirt auch nicht viel!
Ich sitze und lese Bibelverse, die ich auf meine Landkarte geklebt habe. Dabei fällt mein Blick auf mein Handgelenk, an dem ich ein schönes Armband trage; eine skandinavische Gebetskette: Die „Perlen des Lebens“. Die hat mir Karola, eine gute Freundin geschenkt. Sie hat mich vor Jahren neugierig gemacht und durch sie habe ich an einer Familienaufstellung teilgenommen. Was ich dort erlebt habe, hat mich nachhaltig geprägt und verändert. Von ihr hörte ich das Wort „Familienaufstellung“ zum ersten Mal.
Die Familienaufstellung
„Familienaufstellung! Was ist das?“ — „Seit der Geburt meiner Tochter war es das Heftigste, was ich bis dahin erlebt habe.“ — „Das klingt ja interessant!“ — „Ich kann es
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