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rank und schlank und rattenscharf

rank und schlank und rattenscharf

Titel: rank und schlank und rattenscharf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burghard Pohl
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wiederholen und auch beantworten. Dann werde ich aus dieser Familiengruppe genommen und auf meine Position stellt sich nun der Mann, der seine Familie aufgestellt hat. Es werden versöhnende Sätze gesprochen, die von beiden nachgesprochen werden. Nach einigen Minuten ist die erste Aufstellung vorüber.
     
    Mein lieber Mann, das war ganz schön heftig. Was passiert denn hier? Es ist für mich alles neu, fremd, mysteriös, aber nicht erschreckend. Wieso gerade diese Frau, die vorher schon sagt, dass sie mich kennt? Ich werde an diesem Tag in drei weiteren Aufstellungen ausgesucht und aufgestellt. Alle haben etwas mit Tod und Abtreibung zu tun.
    In einer weiteren Aufstellungen mache ich einer fremdem Frau, die ich natürlich vorher noch nie gesehen habe — sie ist meine Freundin, so steht es zumindest auf ihrem Zettel — eine so wunderschöne Liebeserklärung, die Romeo und Julia nicht besser machen könnten. Geheiratet habe ich sie im wahren Leben dann aber doch nicht. — Das paradoxe an dieser Situation ist, die Frau ist überhaupt nicht mein Typ. Sie sieht noch nicht einmal gut aus, aber das ist völlig egal. Mehrmals an diesem Tag frage ich die Frau aus der ersten Aufstellung nach ihrem Vornamen. Immer wieder vergesse ich, wie sie heißt. — Das kann doch nicht wahr sein, ich kann mir sonst Namen und Gesichter total gut merken! Ihren Namen leider nicht. Merkwürdig, langsam ist mir das peinlich.
    Am Ende des Tages weiß ich, was eine Familienaufstellung ist. Ich verabschiede mich von den Teilnehmern und fahre mit den beiden Frauen wieder nach Hause. Ich steige aus dem Auto und habe ihren Namen schon wieder vergessen.
    Als wir uns verabschieden sage ich zu ihr: „Sollten wir uns irgendwann mal wieder sehen und ich erkenne Dich nicht, musst Du mich einfach ansprechen. Ich habe bis dahin bestimmt Dein Gesicht und Deinen Namen wieder vergessen.“ Sie lacht.
    Anne ist die erste, der ich von diesem ungewöhnlichen Tag und den vielen Eindrücken erzähle. Es kommt mir vor, als habe man hat mich von rechts auf links gezogen. Kein schlechtes Gefühl.
     
    Seit diesem Tag sind einige Jahre vergangen, als ich von einem Mann angerufen werde, der von mir eine Telefonnummer wissen will. „Ich rufe Sie nachher zurück, im Moment habe ich sie nicht zur Hand.“ — Eine Stunde später melde ich mich zurück und habe diesmal seine Frau am Telefon. „Ich wollte Ihnen eine Telefonnummer durchgeben, für Ihren Mann.“ — Sie ist sehr freundlich und wir unterhalten uns einen Moment. „Wir kennen uns“, sagt sie.“ — „Wir kennen uns? Woher?“ — „Wir haben vor einigen Jahren zusammen an einer Familienaufstellung teilgenommen.“ — Ich bin sprachlos. „Sag nicht, Du bist meine abgetriebene Schwester?“ — „Genau!“ — „Ich fasse es nicht. Das hätte ich nicht gedacht, dass wir noch mal Kontakt bekommen.“ — Wir unterhalten uns sehr intensiv. Ich erzähle ihr, dass sich mein komplettes Leben seit diesem Tag positiv verändert hat.
    Kann man es überhaupt an diesem Tag festmachen? Gab es noch andere Dinge, die ich nur nicht wahrgenommen habe? — „Schön, dass wir noch einmal miteinander gesprochen haben.“ — „Machs gut.“ — „Du darfst mich ruhig ansprechen, sollten wir uns mal sehen, ich werde Dich bestimmt nicht wieder erkennen!“
    Monate später stehe ich in einem Stehcafé, trinke einen Kaffee, blicke durch die Scheibe nach draußen und sehe eine Frau lächelnd in den Laden kommen. Ich schaue noch mal genauer hin. „Kennen wir uns irgendwoher?“ — Ich gebe ihr die Hand, halte ihre Hand fest und lasse sie nicht mehr los. „Wir kennen uns von der Familienaufstellung.“ Ich nehme sie in die Arme, schließe dabei die Augen und wir drücken uns fest vor der Brottheke. — Was mögen die anderen Leute im Laden von uns denken? — Das ist mir egal! — Was verbindet mich nur mit dieser Frau? Es war doch eine fremde Familie, für die wir beide standen.
     
    Von diesem Tag an behalte ich ihren Namen und weiß immer noch, wie sie aussieht. Ich erzähle es meiner jüngsten Tochter, die mir erklärt, warum ich mir ihr Gesicht und den Namen nicht merken konnte: „Sie wurde abgetrieben und hat nicht gelebt, nie existiert, deshalb hast du ihr Gesicht und ihren Namen immer wieder vergessen.“ — Ich glaube, sie hat Recht.
     

     
    Immer noch sitze ich vor dieser Kirche in Spanien und mir fällt ein, dass ich kein einziges Bild meiner Familie dabei habe. An so etwas hatte ich vorher noch nie

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