rank und schlank und rattenscharf
und her und tut mir leid.
Ich habe die falsche Entscheidung getroffen. Wäre ich vorhin bloß im Ort geblieben, jetzt ist es zu spät. Heute Nacht der Regen, jetzt das Gewitter, womit habe ich das verdient? Es blitzt und donnert. Ich stehe hier auf freiem Feld mit meinem aufgespannten Schirm. Mein Gottvertrauen wollte ich so nicht auf die Probe stellen! Es blitzt in einer Tour und zwischen beiden Orten ist auch nichts, wo ich mich unterstellen könnte.
Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Dieser Ausspruch Martin Luthers passt auf mich wie die Faust aufs Auge. Ich bin diesen Naturgewalten schutzlos ausgeliefert. Beide Orte in Sichtweite, aber ich komme zu keinem hin. Jeder ist vielleicht zwei Kilometer entfernt.
Werde ich einen davon überhaupt mit heiler Haut erreichen? Da wo sonst der Weg verläuft, fließt mittlerweile ein Bach. Hier kann ich nicht mehr weiterlaufen, vielleicht mit Gummistiefeln, aber nicht in Wanderschuhen.
Ich entschließe mich, den Weg zu verlassen. An einer etwas höher gelegenen schrägen Fläche, direkt neben den Weinreben, versuche ich nun weiterzulaufen. Das Profil meiner Wanderschuhe hat sich mit Lehm zugesetzt, und ich rutsche auf diesem spiegelglatten Untergrund hin und her. Das ist wie Schlittschuhlaufen. Und das mitten im Sommer. Diese Sportart lag mir noch nie!
Es geht nicht mehr, ich muss Kira von der Leine losmachen, sie reißt mich sonst gleich um. — Jetzt wird es noch schwieriger! Ein schmaler Graben legt sich mir in den Weg, den ich mit einem Sprung überwinden muss. Unter normalen Voraussetzungen wäre das kein Problem, so breit ist der Graben nicht. Aber auf meinem Rücken habe ich den dreizehn Kilogramm schweren Rucksack. In der linken Hand halte ich den Knirps und die Hundeleine, in meiner rechten meinen Pilgerstab. Die Schuhsohlen haben sich derart mit Matsch zugesetzt, dass sie fast doppelt so groß und schwer sind. Ich kann auf diesem glatten Boden keinen Anlauf nehmen. Aber ich muss da irgendwie rüber!
Ich nehme Schwung, springe aus dem Stand und lande im flachen Bogen auf der anderen Seite. Ich komme gerade noch auf beiden Beinen zum stehen. Die Haltungsnote bei diesem Sprung fällt da ganz schlecht aus: Meine Schuhe rutschen langsam nach hinten weg und ich kippe, ohne Widerstand leisten zu können, nach vorne über. Ich falle auf beide Knie und stütze mich instinktiv mit beiden Händen im Matsch ab.
Diese unkontrollierte, harte Landung hat mein Knirps leider nicht überlebt. Die Hundeleine ist voller Matsch, meine Hände und der Pilgerstab ebenso. So ein Mist! Scheiße! Ich könnte laut schreien, aber würde es mir helfen? — Rechts neben mir ragt eine eingeschlagene Holzlatte aus dem Boden. Ich besinne mich einen Moment und versuche, mich an ihr hoch zu drücken. Hier ist Willenstärke und Muskelkraft gefragt. Mein Rucksack ist in dieser Situation deutlich zu schwer. Es ist unglaublich rutschig und ich ziehe mich langsam und mühselig hoch. Und stehe wieder auf den Beinen. Hurra. — Ich hatte nur die Kraft für einen Versuch, für einen zweiten hätte sie nicht mehr gereicht. Was für eine Leistung!
Es geht hier und so nicht weiter. Ich muss wieder auf den ursprünglichen Weg zurück, der nicht mehr erkennbar ist. Hier ragen nur noch wenige höhere Steine aus den Fluten, auf denen ich mich nun langsam balancierend vorwärts bewege. Die Wassertropfen auf meiner Brille lassen mich jeden Schritt nur erahnen. Es ist fast unmöglich, die Steine zu erkennen. Ohne Brille laufen geht auch nicht. Wo soll ich sie hinpacken? Es wird immer schlimmer, ich sehe gar nichts mehr! Ich stolpere blind durch diesen neu entstandenen Fluss. Den kaputten Schirm habe ich immer noch in meiner Hand. Ich will ihn hier nicht wegwerfen und halte ihn vor meinen Bauchbeutel.
Im nächsten Dorf werfe ich ihn über den Zaun einer Baufirma, hier wird er bestimmt irgendwann weggeräumt. Es regnet immer noch, als wir dort ankommen. Von jetzt auf gleich sehe ich aus wie ein Schwein, anders kann ich mich nicht mehr beschreiben. Kira steht bei mir und sieht aus, als sei sie gerade vom Schwimmen gekommen. Vorhin war ich nur ein wenig schmutzig, nun ist nichts mehr sauber, gar nichts. Bilder vorher — nachher, die wären nun interessant.
Wie kann man innerhalb von anderthalb Stunden so aussehen und körperlich derart am Ende sein? Dieses Unwetter hat mir den Rest gegeben. Ich überlege ernsthaft, ob und wie ich den Jakobsweg sofort beenden kann. Mein Kopf fährt Karussell und ich bin
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