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rank und schlank und rattenscharf

rank und schlank und rattenscharf

Titel: rank und schlank und rattenscharf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burghard Pohl
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viele Eltern mit kleinen Kindern hier. „Das ist aber schlecht hier“, sage ich zu Jürgen.“ — „Wieso?“ — „Wegen dem Hund.“ — Die Kellnerin weist uns an einen Tisch, an dem ein junger Mann alleine sitzt. Kira kann ich in diesem Gewusel nicht mitnehmen. Ich binde sie abseits der Tische an ein Regenrohr und stelle einen Plastiktisch davor. Ich sitze gerade, da schießt Kira wütend hervor, aber nur so weit, wie ihre Leine es zulässt: Es sind mehrere Kinder an ihrem Tisch vorbeigelaufen. Das kann ja hier was geben! Ich habe es mir sofort gedacht, als ich um die Ecke bog und die vielen Menschen gesehen habe.
    Wir kommen mit dem jungen Mann ins Gespräch und bestellen beide das gleiche Gericht, was er hat. Es sieht gut aus und wir bekommen dazu jeder eine Flasche Wein. Er kommt aus Norwegen, ist auch Pilger, unterwegs auf dem Jakobsweg und erzählt uns die Stationen seiner Anreise. Ihm fällt sofort die Perlenkette an meinem Handgelenk auf: „Dieser schwedische Rosenkranz ist doch von Bischof Martin Lönnebo.“ — „Das kann stimmen.“ — Es ist eine Gebetskette, aber ich trage sie, weil ich sie von einer guten Freundin zum Geburtstag geschenkt bekommen habe. Es sind die Perlen des Lebens. Jede Perle hat eine andere Bedeutung. Die Gottesperle, zwei Perlen der Liebe, Perle der Auferstehung, der Nacht, der Gelassenheit, Taufperle, Wüstenperle, Geheimnisperlen und Perlen der Stille. Ich nutze sie nicht als Gebetskette, beten fällt mir ohne Perlen schon schwer. Beten will gelernt sein, beten in Notsituationen kennt vielleicht jeder. — Das Gespräch über meine Kette ist genauso schnell beendet, wie es begonnen hat, weil ich darüber so gut wie nichts weiß.
     
    Ich frage mich jeden Tag aufs Neue, immer und immer wieder: Was bewegt die Menschen aus der ganzen Welt, sich hier nach Nordspanien aufzumachen, zu pilgern und sich diesen Strapazen auszusetzen? Sie haben Zuhause ebenso gute Wanderbedingungen wie hier, oder noch bessere. Hier muss es irgendetwas geben, was diesen Weg von allen anderen Wegen unterscheidet. Was kann das nur sein? Werde ich dieses Geheimnis erfahren? Im Moment gibt es für mich noch keine nennenswerte Erklärung. Warum bin ich überhaupt hier? Nur weil Willi krank wurde und diesen außergewöhnlichen griechischen Arzt getroffen hat? Ich weiß nicht. Kann so etwas der alleinige Grund dafür sein? — Da ich nicht mehr an Zufälle glaube, sondern eher an Bestimmungen und Fügungen... Vieles erkennt man oft erst später, wenn man über Zurückliegendes nachdenkt. Zeit zum Denken habe ich hier in Spanien genug. Es ist niemand da, der mich ablenkt.
     
    Der Norweger möchte heute Abend noch an einer Messe teilnehmen und stellt uns deshalb seine halb getrunkene Flasche Wein rüber und geht. Jetzt haben wir zweieinhalb Flaschen, nicht schlecht. Die Kinder, die immer wieder an Kira vorbei rennen, nerven mich und ich ernte jedes Mal böse Blicke von den Spaniern, wenn sie wieder ausrastet. Die Kinder mal zu ermahnen von Kira fernzubleiben, daran denkt niemand.
    Es fängt an zu regnen, aber wir sitzen hier überdacht. Jürgen und ich unterhalten uns angeregt, schließlich fragt er: „Wo willst Du heute Nacht schlafen?“ — „Keine Ahnung, das weiß ich auch nicht. Das ist mir im Moment egal.“ — Wir sitzen beide gemütlich zusammen, bei gutem Essen, ausreichend Wein. Ich möchte jetzt gar nicht weiter darüber nachdenken, wo ich heute Nacht schlafe. „Im Notfall schlafe ich dort drüben in der Bushaltestelle.“
    Beim Anblick der Bushaltestelle kommt mir eine Begebenheit in den Sinn, die ich fast schon vergessen hatte, und ich erzähle sie Jürgen:
     
    Ich fuhr vor einigen Jahren zu einem neuen Kunden zwecks Besichtigungstermin. Meinen großen BMW parkte ich unmittelbar vor seinem Haus. Als ich ausstieg, saß direkt vor mir ein Penner auf einer Bank. Er sah genauso aus, wie ich im Moment aussehe. Ich schaute genauer zu ihm hin und erkannte in ihm einen ehemaligen Arbeitskollegen, der dort mit einer Bierflasche in der Hand saß. „Wir kennen uns doch“, sagte ich zu ihm. Er erkannte mich auch sofort und ich setzte mich zu ihm auf die Bank. Wir erzählten von zurückliegenden Zeiten, als wir noch zusammen bei einer Malerfirma als Gesellen gearbeitet haben. Er hielt mir seine Flasche Bier hin und fragte, ob ich einen Schluck trinken wolle. Ich schüttelte den Kopf, beim besten Willen nicht. „Wo schläfst Du eigentlich?“ — Er zeigte auf eine Sträuchergruppe, die an ein

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