rank und schlank und rattenscharf
getroffen. Wie geht es Dir? Wo bist Du?
Ich schreibe zurück: Hallo Willi, ich habe auch einige Menschen getroffen, aber einen ganz besonderen Menschen — Mich!! Mir geht es gut und ich bin kurz vor Viana.
Ich laufe weiter und im nächsten Ort treffe ich wieder auf die drei, diesmal sitzen sie in einer Bushaltestelle. Auch besetzt. Der Ältere verbindet gerade einem der Jungs das Knie. Er dreht sich zu mir um, und als ich vorbei laufe fragt er mich, ob ich was essen will. Das alles in Zeichensprache und spanisch. — Kann man mir meinen Hunger bereits ansehen? Es ist Mittag und seit gestern Abend habe ich nichts mehr gegessen. Ich nicke und gehe zu ihnen rüber. Er schneidet mir ein Stück Baguette ab und belegt es mit saftigem Schinken. Schon wieder ein purer Akt von Nächstenliebe. Das Brot teile ich mir mit Kira, für jeden ein Stück. Nicht viel, aber wenigstens etwas im Bauch. Ich bedanke mich und wünsche ihnen einen guten Camino. „Ola.“ — Wir laufen weiter die Straße entlang und mir ist schon wieder das Wasser ausgegangen. Ich laufe noch weitere Stunden ohne einen Tropfen Wasser bis nach Viana. Kurz vor der Stadt kommen plötzlich wie aus dem Nichts zwei dicht hintereinander fahrende Sportwagen angerast. Sie sind so laut, dass ich mich mit Kira rechtzeitig in Sicherheit bringen kann. Wir bleiben wie angewurzelt stehen. So eine unberührte Natur und dann diese lauten Flitzer, ich komme mir vor, als wäre ich auf dem Nürburgring. Doch die zwei sollen nicht die einzigen bleiben und es dauert nur wenige Minuten, da kommen die nächsten Rennwagen angedonnert und rauschen an uns vorbei. Ich muss immer wieder in den Graben ausweichen und kurz warten, damit sie mich nicht platt fahren. Es muss so etwas wie ein Zeitfahren sein, weil immer wieder mit reichlich Abstand neue Sportwagen aller Fabrikate angebraust kommen. Jetzt müssen wir die Straße auch noch überqueren, ich sehe schon den Artikel in der spanischen Zeitung: „Pilger mit Hund von einem Rennwagen auf dem Camino überfahren.“ — Mal gut, dass die Dinger so laut sind. Hören kann man sie schon einen Kilometer vorher.
Wir erreichen unbeschadet den Stadtrand von Viana. Hier gibt es einen gepflegten Brunnen mit frischem Wasser und ich saufe wie ein Kamel. Seit fast zwanzig Stunden habe ich nichts getrunken. Die Bedenken vor schlechtem Trinkwasser habe ich schon lange beiseite geräumt. Nur Mineralwasser zu trinken, geht überhaupt nicht, man verdurstet. — Niemand ist hier, ich ziehe meine Schuhe aus und wasche meine Füße. Es kommen Pilger, auch die drei Männer von der Bushaltestelle. Alle füllen ihre Wasserflaschen auf und gehen weiter. Ich laufe weiter ins Stadtzentrum und da heute Sonntag ist, hoffe ich, dass ich hier etwas zu essen bekomme. Es ist später Nachmittag und die Geschäfte haben geschlossen. Ich komme zu einem kleinen Platz, der umgeben ist von antiken Mauern. Hier ist ein Restaurant und hat geöffnet, einige Gäste sitzen draußen direkt am Eingang. Sie haben nur Getränke auf ihren Tischen. „Kann ich hier draußen auch was essen?“ — Ich wiederhole meine Frage noch einmal: „Kann ich mit meinem Hund hier draußen was zu essen bekommen?“ — Ich glaube, Sie verstehen mich nicht und zeigen mir, ich soll reingehen und fragen. — Mit Kira kann ich doch nicht ins Restaurant gehen, die schmeißen mich achtkantig raus! Also stelle ich mich in die geöffnete Tür am Eingang. Ich beobachte das Treiben im Restaurant. Die Kellnerinnen und Kellner flitzen mit den Tabletts und das Thekenpersonal hat alle Hände voll zu tun. Es werden jede Menge Essen serviert und mir läuft das Wasser im Munde zusammen. Ich werde von allen übersehen, ignoriert, keiner nimmt mich wahr. Erst nachdem ich heftig mit meinem Stock winke, bekomme ich für eine Sekunde die Aufmerksamkeit eines Kellners. Ich frage ihn in Zeichensprache, ob ich vor der Tür was essen kann. Der Kellner zeigt mir sehr deutlich und unmissverständlich, dass ich sofort abhauen soll. — Was ist das denn hier für ein Laden? Meint der Blödmann etwa, ich bin ein Penner und will betteln? — Ich könnte ausrasten! Wenn mich einer hier verstehen könnte, dem würde ich was erzählen, aber so —
Hier bekommen wir nichts zu essen. Was nun? Egal! Ich kann hier niemanden erklären, dass ich Pilger bin, Kohldampf habe und nach Santiago de Compostela will. Das lohnt sich nicht. Soll ich zurücklaufen und woanders suchen? Ich vertraue meinem Bauch und entschließe
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