rank und schlank und rattenscharf
und schlafe tief und fest. Endlich bekommt mein Zeh eine längere, wohlverdiente Pause.
Der Mittagschlaf in der warmen Sonne hat richtig gut getan, ich fühle mich ausgeruht. Noch etwas benommen gehe ich weiter und treffe schon nach kurzer Zeit wieder auf die zwei Zeitlupenpilger. Sie sitzen mitten auf dem Weg und knutschen, sie haben keine Eile. Ich denke, so kommen die nie in Santiago an, vielleicht wollen sie da auch gar nicht hin. Pilgern ohne Zeitlimit würde logischerweise entspannter verlaufen: Man läuft ohne Druck. Habe ich die Zeit im Nacken und will in sechs Wochen in Santiago sein, laufe ich anders. — Wer sagt einem eigentlich, dass man immer eine bestimmte Anzahl von Kilometer laufen muss? Wenn ich unbegrenzt Zeit habe, ist das Ende völlig offen, dann kämen auch alle an. Es gibt unbewusst immer die Verbindung zwischen Anfang — Ende — Zeit.
Nun laufe ich schon einige Kilometer an der Autobahn entlang Richtung Nájera und der Verkehr nervt mich. Da hatten es frühere Pilger einfach besser, was den Verkehrslärm angeht. Schließlich laufen wir wieder abseits der Straße und kommen an eine Stelle, an der viele kleine und große Steine zu Pyramiden gestapelt sind. — Ist das vielleicht das Tal der Steinmännchen? — Ich habe vor meiner Abreise einen wunderschönen Stein von meiner besten Freundin Irene bekommen. Willi hat genau den gleichen Stein von ihr bekommen, quasi eine Kopie. Sie fragte mich vor meiner Abreise: „Welchen Stein willst Du haben?“ — Ich nahm beide Steine in die Hände, schloss dabei die Augen und ertastete sie ganz bewusst. Beide Steine waren fast identisch und ich entschied mich für einen. Willi bekam den anderen wunderbaren Stein. Jetzt hole ich Irenes Stein aus meinen Rucksack. Hier will ich ihren Stein ablegen. Es ist ein schwarzer, flacher Kieselstein aus dem Rhein. Für uns hatte Sie auf beide Steine eine Spirale mit einem Goldstift gemalt und auch den gleichen Text darauf geschrieben:
Friede mit jedem Schritt — Achtsamkeit üben
Was wollte sie uns damit sagen? Welche Botschaft wollte Sie uns mit auf den Weg geben? Warum hat sie uns gerade diese Worte aufgeschrieben? Sollten diese Wörter für uns einen tieferen Sinn haben, der zu unserer Pilgerreise passt?
Friede — mit wem? Mit mir? Mit meinen Mitmenschen? Mit meinem Hund?
Achtsamkeit üben, mit wem? Mit mir? Mit meinen Mitmenschen? Mit meinem Hund?
Ich habe sie nie gefragt.
Für mich selbst hatte ich einen kleinen, glitzernden Stein mitgenommen, den ich in Griechenland vor der Klosterhalbinsel Athos gefunden habe. Aber mein Stein gehört hier nicht hin. Ich spüre es und beschließe deshalb, ihn später an einem anderen Platz abzulegen. Hier lege ich jetzt nur Irenes Stein ab — oder ist es mein Stein?
Bevor ich weiterlaufe, mache ich noch ein Foto von den Steinpyramiden. Meiner liegt nun an oberster Stelle und ist unter allen anderen Steinen sofort erkennbar. — Ich mache mir Gedanken darüber, ob einer der nächsten Pilger diesen Stein mitnimmt. Das kann man nicht verhindern, dann soll es so sein. Jedem Pilger fällt dieser Stein sofort auf, da hier nur normale Steine herumliegen. Dieser ist an Schönheit einzigartig. — Irene hatte uns die Steine in einen kleinen Stoffbeutel mit Kordel gesteckt, die wir am Abend vor unserer Abreise zubanden und verstauten.
Wir gehen weiter und überqueren eine neu ausgebaute Straße. Nach ungefähr zwei Kilometern stelle ich plötzlich fest, dass ich seit der Straße keine gelben Pfeile mehr gesehen habe. Das könnte der falsche Weg sein! Habe ich beim überqueren der Straße einen Pfeil übersehen, hätte ich dort vielleicht abbiegen müssen? Ich bleibe stehen und überlege, was ich machen soll: die Strecke noch mal zurückgehen oder weiterlaufen? — Ich entschließe mich, bis zur Straße zurück zu laufen.
Von weitem sehe ich zwei Rennradfahrer stehen, die sich mit einem älteren Ehepaar an besagter Straße unterhalten. Aus fünfzig Meter Entfernung rufe ich ihnen zu: „Wo ist der Camino nach Santiago de Compostela?“ — Kira kläfft aufgeregt in einer Tour. Bloß keinen Meter zuviel laufen. Sie schicken mich in dieselbe Richtung zurück, wo ich gerade hergekommen bin. Ich kann es nicht glauben und rufe noch einmal. Das will ich jetzt genau wissen. „Camino Santiago de Compostela.“ — „Si, Si!“ — Also doch. Ich mache auf dem Absatz kehrt und es geht zurück. So ein Mist aber auch, ich war auf dem richtigen Weg.
Ich komme
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