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rank und schlank und rattenscharf

rank und schlank und rattenscharf

Titel: rank und schlank und rattenscharf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burghard Pohl
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laufe. Auf der Ostseite geht es steil bergauf, an der Westseite lang gezogen, unendlich sanft wieder bergab. Dieses Panorama werden fast alle Pilger, die einen Fotoapparat mithaben, festhalten. Die Aussicht in die Ferne ist heute endlos weit. Es geht stundenlang an Kornfeldern entlang, sie sind voller Klatschmohn. An ihren Rändern stehen farbenprächtige Disteln. Die sind so wunderschön, die muss ich auch fotografieren, so wie diese habe ich noch keine blühen sehen. Hier wird vielleicht weniger Unkrautvernichter gespritzt als in Deutschland, solche Klatschmohnfelder und Kornblumen habe ich seit meiner Kindheit nicht mehr gesehen.
     
    Es ist später Nachmittag, wir laufen schon eine ganze Weile an einem langen, geraden Kanal entlang. Er endet nach Stunden in einer uralten Schleuse, die in mehreren Stufen angelegt ist. Die Schleuse ist bestimmt hundert Jahre alt und die Stautechnik ebenfalls. Ich überquere eine Autobahn und setze mich in unmittelbarer Nähe hin. Mein Zeh schmerzt wieder volles Rohr und ich beiße schon seit Stunden die Zähne aufeinander. Irgendwann ist Schluss und ich habe für heute die Schnauze gestrichen voll.
    Am Abend erreiche ich Frómista. Bis hierhin sollte mich die Knalltüte mit dem Taxi bringen. Ich bin vielleicht 40 km mit dem Taxi gefahren, 20 gelaufen und für 60 bezahlt. Es war einen Versuch wert, aber was soll’s, auch daraus kann man lernen. Solche Erfahrungen brauche ich in dieser Form nicht mehr. Ich esse eine Apfelsine, etwas anderes zu essen gibt es heute nicht mehr.
    Wenn ich schon mal sitze, könnte ich mal probieren, ob Anne zuhause ist. Ich erzähle ihr von der abenteuerlichen Taxifahrt. Sie kann sich trotz meiner Schilderungen kaum vorstellen, was hier los ist.
    Jetzt muss ich wieder sehen, dass ich einen geeigneten Schlafplatz finde. Hinter einem ausgedienten Schweinestall baue ich mein Zelt auf und bin froh, als ich sitze. Vor dem Stallgebäude verläuft eine Bundesstraße, der Autolärm hält sich aber in Grenzen. Auf einmal merke ich, dass Kira unruhig wird. Sie hat irgendetwas gewittert. Ich sehe vor meinem Zelt Kaninchenköttel und dann auch das erste Kaninchen in Spanien. — Das war es, was sie erschnuppert hat! Kira ist ein Mischling aus großem Münsterländer und Riesenschnauzer. Sie hat einen ausgeprägten Jagdinstinkt. Dem muss sie jetzt aber nicht nachgehen, deshalb schicke ich sie sofort ins Zelt. Ich bin froh, dass Kira das Kaninchen gar nicht erst gesehen hat und aufs Wort hört.
    Es ist schon wieder eine kurze Nacht, ich schlafe gerade mal vier bis fünf Stunden, dann bin ich wach. Zum Entspannen höre ich Musik. Bin ich froh, dass ich meinen MP3-Player mitgenommen habe! Auf ihn hat mir Annes Cousin Lobpreismusik aufgespielt. Ich wüsste nicht, was ich machen würde, wenn ich morgens zwischen zwei und drei Uhr den Schlaf aus habe. Von dieser Musik geht eine wunderbare Kraft aus, sie ist eine ständige Meditationsquelle. Als ich am nächsten Morgen loslaufe, steht nach wenigen Metern ein großes Hinweisschild: Santiago 475 Kilometer. Die Hälfte habe ich bald geschafft, denke ich und laufe weiter an der schnurgeraden Straße entlang. Auf fast jedem weißen Begrenzungsstein ist die Jakobsmuschel aufgemalt. Das ist ein wenig übertrieben, der gelbe Pfeil hat bis hierher gereicht.
     
    Ich komme vor dem Ortseingang an eine schöne, alte Kapelle und gehe hinüber, um zu sehen, ob sie offen ist. Leider stehe ich vor einer verschlossenen Tür. Ich versuche, durch einen Türspalt in den Kirchraum zu schauen, aber es ist viel zu dunkel und ich erkenne nichts. Im selben Moment kommt ein deutscher Pilger. Endlich mal jemand, mit dem man mal quatschen kann! — „Ist die offen?“ — „Nein, die Tür ist abgeschlossen.“ — Er geht, ohne sich auf ein Gespräch einzulassen, weiter.
    Im Ort setze ich mich vor eine Bar und trinke einen Kaffee. Jetzt kommt auch er und stellt seinen gepflegten Rucksack auf einen der wackligen Plastikstühle. Er holt sich ebenfalls einen Kaffee und setzt sich an seinen Tisch. Ich beobachte ihn nur noch, reden will der ja nicht.
    Kurz darauf wird er von einer älteren, einheimischen Frau auf eine Zigarette hin angesprochen. Er sagt zu ihr in deutsch: „Ich habe gesehen, Du hast doch gerade erst eine geraucht. Von mir bekommst Du keine.“ — Knallhart, dieser Typ! Unsympathisch! Ich schlucke, das hätte ich so nie zu ihr gesagt.
    Vor über zwanzig Jahren habe ich meine Karriere als Kettenraucher von einem Tag auf den anderen

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