rank und schlank und rattenscharf
hatte sie überhaupt nichts damit zu tun, aber jemand musste es machen. Sie ist am Boden zerstört und weint. Sie sagt: „Ich hoffe, jetzt ist endlich Schluss.“ — Ich sitze hier in Spanien und kann sie noch nicht einmal in den Arm nehmen. Tröstende Worte über eine so weite Distanz. Wie soll das gehen? — Wir beenden unser Gespräch und ich bestelle mir ein zweites Hauptgericht. Der Kellner spricht jeden Gast in seiner Muttersprache an, ob deutsch, holländisch, englisch, italienisch. Was hätte ich für Vorteile, wenn ich so viele Sprachen könnte. — Ich packe ein paar Stücke Fleisch in eine Serviette. Der Kellner sieht es und packt noch ein Stück vom Nebentisch dazu. Kira wird sich über diese Abwechslung beim Futter freuen. Immer nur Wiener Würstchen!
Nach einer unbequemen Nacht auf dem harten Boden, die auch nicht von zwei Isomatten abgefedert wird, gehe ich am nächsten Morgen erst einmal duschen. Jetzt, wo ich duschen kann, will ich es auch ausnutzen. Heute ist Sonntag und ich sitze vor der Bar und trinke einen Kaffee amerikano.
Später gehe ich mit Kira zum nahe gelegenen Fluss, dort lasse ich sie schwimmen und werfe ihr Holzstöcke zu. Sie hat Spaß ohne Ende und merkt dabei ihre lädierte Pfote für einen Moment nicht. Das Laufen geht bereits wieder, ohne dass sie humpelt, aber ich muss morgen unbedingt mit ihr zu einem Tierarzt. — Wie soll ich bloß in dieser riesigen Stadt einen Tierarzt finden? — Am Fluss sehe ich eine Frau mit ihrer Tochter und ihrem kleinen Hund. Ich spreche sie an: „Do you speak english?“ — Sie schütteln beide den Kopf. Nun einen zweiten Versuch starten! „Doktore für perro in Burgos?“ — Immer noch Köpfe schütteln. Ich wiederhole es noch mal, noch mal, aber keiner von den beiden versteht mich. — Endlich, jetzt haben sie doch begriffen was ich von ihnen will. Bravo! — Ich gebe ihnen einen Zettel und Kugelschreiber und sie schreiben mir eine Adresse auf: „Clinica Veterinaria“ und einen Straßennamen. Das wird stimmen, Clinica Veterinaria, das hört sich nach Tierarzt an. Ich bedanke mich und habe nun wenigstens schon mal eine Anschrift. Den restlichen Tag faulenzen wir vor dem Zelt und ich freue mich schon auf das Abendessen.
Am nächsten Morgen, es ist noch sehr früh, packe ich meine Sachen und überlege, ob ich an der Rezeption ein Taxi bestellen soll, damit könnten wir zum Tierarzt gelangen. Aber dann beschließe ich, erst einmal loszulaufen. — Um wieder auf den Jakobsweg zu kommen, muss ich ihn erst einmal finden. Der Campingplatz war doch einige Kilometer vom Pilgerweg entfernt. Es ist Montagmorgen, kurz nach acht. Nochmals überlege ich, ob ich mir nicht doch ein Taxi bestellen soll. Kira läuft vor mir an der Leine und ich beobachte sie, ob ihr das Laufen noch Schwierigkeiten bereitet. So wie es aussieht nicht. Also, soll ich überhaupt den Tierarzt aufsuchen? Besser wäre es. Ich entscheide mich erst einmal loszulaufen.
Nach fast einer Stunde stehe ich mitten in Burgos auf dem Bürgersteig mit dem Zettel in der Hand und spreche einen Mann an, der mir entgegen kommt. „Einen Moment, Senor.“ Kira halte ich kurz an der Leine. Ich gebe ihm den Zettel in die Hand. Er liest ihn sich durch und blickt nach oben. Mit dem Zeigefinger zeigt er auf die Schaufensterscheibe. „Clinica Veterinaria!“ — Es ist nicht zu glauben. Er ist der erste, den ich frage, und ich stehe genau vor der Tierarztpraxis. Das kann doch nicht wahr sein! Wie ist so etwas möglich? Eine Stadt, vielleicht so groß wie Düsseldorf und ich stehe direkt davor. Unglaublich. Wer oder was hat mich hierher geführt? Zu meinem Glück kommt noch hinzu, dass links von der Praxis eine Kaffeebar ist, wo ich einen Frühstückskaffee bekomme.
Da es erst kurz nach neun ist und der Tierarzt erst um zehn Uhr aufmacht, setze ich mich auf eine Bank und beobachte die Leute. Es ist schon ein unglaubliches Gefühl, wenn ich daran denke, es ist Montagmorgen und ich sitze mit meinem Hund in Spanien auf einer Bank. Meine Handwerkskollegen in Deutschland jagen im Augenblick neuen Aufträgen hinterher. Es ist der reine Wahnsinn. Früher konnte ich es mir nicht vorstellen, meine Firma allein zulassen, und seit Tagen denke ich nicht mehr an sie. Hier sind andere Dinge wichtig, Verantwortung trage ich im Moment nur für uns beide. Alles andere habe ich hier völlig ausgeblendet, abgegeben an eine höhere Instanz, und Kleinigkeiten sind mir wichtiger geworden. Zum Beispiel mein Pilgerstab.
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