rank und schlank und rattenscharf
radikal beendet. Silvester habe ich aufgehört und nie wieder angefangen. Diese verdammte Sucht. Ich wollte nicht mehr diesen dauerhaften Zwang. Einen Glimmstängel nach dem anderen, die ganze Kohle, von der Gesundheit ganz zu schweigen. Heute verhalte ich mich, was das Rauchen betrifft, wie sich ein ehemaliger Alkoholabhängiger verhalten muss: Nie wieder Nikotin. Mein Leben ist heute auch ohne blauen Dunst wunderbar, das hätte ich mir vorher gar nicht mehr vorstellen können. Ich habe keine Zigaretten, mich fragt sie gar nicht erst. Die Frau geht. Er packt seinen Rucksack und geht vor mir. Ein merkwürdiger Kerl, ich schaue ihm hinterher. Auf den kann ich verzichten, mit dem möchte ich nichts zu tun haben, da bleibe ich lieber allein. Ich gebe ihm einen größeren Vorsprung, dann gehen auch wir weiter.
Bereits nach einer Stunde muss ich vor Schmerzen wieder aus meinen Schuhen. Der kleine Zeh schmerzt und schmerzt, es ist zum Heulen. Irgendwann heult jeder, habe ich gelesen. Ich nicht — jetzt noch nicht, da bin ich ein harter Hund. — In den letzten dreißig Jahren habe ich genau zweimal geheult: Bei der Beerdigung meiner Oma und bei unserer Hochzeit. Aber hier werde ich nicht heulen, da bin ich mir fast sicher.
Wir setzen uns auf eine Wiese, auf der noch einige Strohballen vom letzten Jahr liegen geblieben sind, als ein weiterer deutscher Pilger kommt und stehen bleibt. „Wie heißt Du?“ — „Willi.“ — Willi kommt aus Aschaffenburg und erzählt mir, dass auch er sich von seinem Freund getrennt hat, weil dieser den Jakobsweg als Sightseeing-Tour ansah: „Immer wieder wollte er in Bars Kaffee trinken, blieb andauernd stehen, um alle naselang zu fotografieren. Das wollte ich nicht und deshalb haben wir uns getrennt.“ — „Mein bester Freund heißt auch Willi. Vom dritten Tag an laufen wir auch getrennt“, erwidere ich. „Er wollte nicht mit mir und meinem Hund laufen. Von Anfang an hat er einen Affenzahn drauf und bereits einen großen Vorsprung. Selbst mit einem Taxi konnte ich ihn nicht mehr einholen. Aber so ist es für uns beide OK. Machs gut und einen Buen Camino!“
In der Mittagssonne laufe ich weiter und sehe ein gepflügtes Feld. Mitten auf diesem Acker steht ein einzelner Baum, der ein breites, ausladendes Blätterdach hat. Ich lege mich unter den Baum in den Halbschatten und schlafe fast zwei Stunden.
Völlig benommen werde ich wach. Kira hat sich nicht ein einziges Mal gemuckt. Im nächsten Ort bestelle ich mir ein Stück Kuchen, Kartoffelpfannekuchen, eine Cola light. Als wir aufbrechen wollen, kommt der Kellner aus der Bar und bringt für Kira ein Stück Schinken mit einer dicken Schwarte und dazu Brot. Ich schneide sie in kleine Stücke, sie ist knochenhart. Selbst mit meinem scharfen Cuttermesser ist es richtig anstrengend und ich habe Angst, Kira könnte daran ersticken. Es schmeckt ihr hörbar gut.
Die nächste Stadt ist Carrión de los Condes. Ich rufe Anne an, einmal am Tag, das reicht. In einem kleinen Laden kaufe ich etwas ein und laufe weiter durch die Stadt. Ich suche nach den gelben Pfeilen oder einer Muschel. Nichts zu sehen davon. Einmal sind sie im Überfluss vorhanden, jetzt nichts. Ich spreche zwei Männer an, sie kommen glaube ich aus Deutschland. Sie schicken mich wieder zurück, dahin, wo ich hergekommen bin, zum Stadtrand. Plötzlich entdecke ich ein Schild: Camping 500 m. — Gut, dass ich so rumgeeiert bin und gefragt habe, das Schild habe ich vorhin nicht gesehen. Was habe ich für ein Glück, dass ich einen Campingplatz gefunden habe! Dahin laufe ich gern, denn das heißt: eine Dusche und einen geraden Platz zum schlafen. — Ich habe eine SMS von Willi:
Ich bin in León, bin zwischen 30 — 46 km jeden Tag gelaufen.
Ich antworte: Ich bin in Carrión de los Condes auf einem Campingplatz und gehe gleich was essen. Ich war mit Kira beim Tierarzt in Burgos.
Das sind — trotz Taxi — noch mindestens zwei Tagesetappen, die er vor mir ist. Das ist ja sagenhaft, wie sich unser Abstand noch vergrößert hat!
Der Campingplatz ist wie ausgestorben, es sind kaum Leute auf diesem großen Platz. Ich baue mein Zelt natürlich gegenüber vom Sanitärtrakt auf. Normalerweise nicht die idealste Stelle auf einem Campingplatz, aber ich möchte so dicht wie möglich an der Dusche sein; irgendwie verrückt. — Es sind, nett ausgedrückt, total veraltete Toiletten und Duschen. Gut, dass man beim Duschen stehen bleibt. Ich dusche trotzdem sehr, sehr
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