rank und schlank und rattenscharf
Ich beschäftige mich seit Tagen mit ihm, immer öfter denke ich über ihn nach und habe schon ganz konkrete Vorstellungen: Wenn ich wieder Zuhause bin, möchte ich mir einen Kupferring ans untere Ende schmieden lassen. In diesen Ring will ich einen Fisch und die Jakobsmuschel eingravieren lassen. — Ist das jetzt etwa wichtig? — Je länger ich darüber nachdenke, schon!
Die ersten Leute gehen schon in die Praxis, aber es ist noch keine zehn Uhr. Ist eine oder einer von ihnen der Tierarzt? — Pünktlich um zehn Uhr stehe ich auf und gehe hinein. Kira halte ich kurz und erkläre einer jungen Frau, dass ich auf dem Camino nach Santiago de Compostela unterwegs bin. Mein Hund hat Probleme an den Pfoten und im Achselbereich bekommen, so können wir nicht weiter. — Wir gehen in einen winzigen Raum und ich soll Kira auf den Behandlungstisch legen. Sie ahnt schon, worum es hier geht, Tiere haben dafür ein besonderes Gespür. Ohne knurren oder gar zu beißen lässt sie sich von den zwei jungen Mädels behandeln. Diese Grasgrannen haben tiefe Löcher in ihre Haut gebohrt und sie holen eine nach der anderen heraus. Selbst unter der Haut sitzen diese Peiniger. Es dauert nun schon mehr als eine halbe Stunde, sie behandeln und versorgen alle Wunden. Ich stehe in gebeugter Haltung und Kira hat ihren Kopf auf meinen Arm gelegt. Sie macht keine Anstalten und lässt sich freiwillig behandeln.
Mir stehen die Schweißperlen auf der Stirn, zu dritt in diesem engen Raum und dann noch mit zwei so hübschen Frauen. Sie geben mir noch eine Salbe, sie soll den Heilungsprozess unterstützen. Dann gehen wir zum Ausgang und ich mache das unmissverständliche Zeichen mit zwei Fingern: Was soll das kosten? — Sie meint: „Geben Sie mir zehn Euro für die Salbe. Weil Sie Pilger sind, ist die Behandlung kostenlos.“ — Wahrscheinlich bin ich der einzige Pilger mit Hund, der jemals zu ihnen gekommen ist, und das wird auch so bleiben. Ich bin froh, dass sie mir geholfen haben und gebe ihnen mehr, als sie verlangen. Wieder mache ich eine eindeutige Handbewegung. Sie verstehen sie sofort, sie sollen nach Feierabend einen davon trinken. — Die sind beide total nett. Mit den beiden würde ich auch gern einen trinken, aber das geht leider nicht.
Wir stehen wieder auf der Straße und ich habe eine SMS von Willi:
Es gibt eine Zugverbindung von Burgos nach Sahagún, versuche dort hinzukommen.
Zugverbindung? Das hört sich nicht schlecht an, aber da muss ich irgendwie hinkommen. In dieser riesigen Stadt erst mal den Bahnhof finden. Es war Fügung, den Tierarzt zu finden. Jetzt nur noch den Bahnhof. Ich frage mehrere Passanten nach Train, Trainstation... keiner versteht mich. Der nächste kommt und ich frage ihn nach Train, Station ... keine Ahnung, oder wie soll ich das bei ihm deuten?
- Mir kommt ein Briefträger entgegen, auch ihn spreche ich an. Er versteht mich sofort und deutet mir an, ihm zu folgen. Also laufen wir in einem ausreichenden Sicherheitsabstand wortlos hinterher. Er zieht seinen leeren Briefwagen hinter sich her und wir laufen kreuz und quer durch die ganze Stadt. Dann sollen wir nach links gehen, da ist der Bahnhof. Er muss nach rechts, da ist die Post.
Ich gehe mit Kira ins Bahnhofsgebäude und merke, wie ich von den fremden Leuten angestarrt werde. Liegt es an mir, meinen Hund, oder doch an uns beiden? Wir scheinen aufzufallen. Zwei Männer in Uniform stehen hinter dem Schalter und ich frage, ob es ein Ticket nach Sahagún gibt, für mich und Kira. — „Perro, no!“ — Das habe ich mir fast gedacht. Ich bin den ganzen Weg bis hierher gelatscht und jetzt nehmen sie uns nicht mit. Wir verlassen den Bahnhof und ich überlege, ob ich es bei den Taxis versuchen soll. Aber von Burgos bis nach Sahagún ist viel zu weit und zu teuer. Bis nach Frómista ist bezahlbar, das sind ungefähr 60 km. So könnte ich den Abstand zu Willi um einige Kilometer verkürzen, ihm ein bisschen näher kommen, mehr nicht. Für mich steht fest, dass ich weiterhin allein laufen will.
Ich spreche den erstbesten Taxifahrer an und frage ihn: „Ich will nach Frómista, würden Sie mich und meinen Hund mitnehmen?“ — Er schaut mich misstrauisch an und überlegt einen Moment, ob er es machen soll. — „Si.“ — „Alles klar. Und wie teuer ist die Fahrt nach Frómista?“ — Er nimmt seine Landkarte aus dem Handschuhfach und wirft einen genauen Blick auf die vor uns liegende Strecke. Mit einem Taschenrechner rechnet er gleich
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