rank und schlank und rattenscharf
bestellen sich eine Flasche Wein. „Woher kommen Sie?“, fragen sie mich in Englisch. „Aus Germany. Und woher kommen Sie?“ — Eine Frau antwortet, aber ich habe nicht verstanden, woher sie kommen. Ich muss noch mal nachfragen: „Aus welcher Stadt kommen Sie?“ — „Aus Warschau.“ — Aha, jetzt habe ich es verstanden, also aus Polen. — „Sind Sie Pilger nach Santiago de Compostela?“ — „Yes. Pilgern Sie auch?“ — „No. Eine Kulturreise durch Nordspanien mit dem Bus.“ — Sie sehen auch nicht aus wie Pilgerinnen. Die kann ich schon von weitem erkennen. Pilgerinnen tragen meist nur wenig oder gar kein Make Up. Wozu auch?
Ich packe meine Sachen und sie wünschen mir einen guten Weg. Wir biegen um die nächste Ecke und stehen vor der gewaltigen Kathedrale. Sie ist direkt vor mir. Ich hole meinen Fotoapparat heraus, um ein Foto von diesem imposanten Bauwerk zu machen. Die Batterien sind alle. Klasse. Irgendetwas scheint mein Fotoapparat gegen Kirchen und Kathedralen zu haben. Jedes Mal ist der Akku leer, wenn ich sie fotografieren will. Langsam wird mir das unheimlich. Woher weiß der Fotoapparat, dass ich eine Kathedrale fotografieren will? — Ich gehe zurück zur Bar, vor der ich gerade gesessen habe, um dort etwas zu essen. Bei dieser Gelegenheit könnte ich meinen Fotoapparat laden lassen.
Mittlerweile sind die beiden Frauen nicht mehr allein. Es haben sich andere Mitreisende dort eingefunden und alle Tische in Beschlag genommen. Mir ist es zu blöd, mich dazwischen zu quetschen, also gehe ich weiter. Außerdem war in dieser engen Gasse dauerhaft Schatten, für einen Sonnenplatz sind die Häuser hier zu hoch.
Wir laufen die breite Shoppingmeile entlang, dicht neben der stark befahrenen Straße. Das passt überhaupt nicht zusammen: Ein Pilger mit Hund auf dem Boulevard. — Zwei junge Frauen bleiben vor einem Gebäude stehen, vielleicht ist es eine Bank oder ein Autoverleih. Ich beobachte sie, diesmal könnten es Pilgerinnen sein. Sie gehen hinein und ich warte auf sie. Ich will sie fragen, wo der Jakobsweg ist. Seit der Kathedrale habe ich ihn aus den Augen verloren. In den Großstädten auf dem richtigen Weg zu bleiben, ist deutlich schwieriger als auf dem Land. Verlaufen habe ich mich bisher noch nicht, immer hat jemand auf mich aufgepasst. — Nach kurzer Zeit gebe ich es auf, auf die beiden zu warten. Sie kommen nicht mehr raus und ich befürchte eine schlechte Verständigung, also laufen wir erst einmal weiter.
Als nächstes spreche ich einen Mann in seiner Lotteriegondel an, die mitten auf dem Gehweg steht. Er sitzt teilnahmslos da und verkauft Lose. „Camino Santiago de Compostela?“ — „Si.“ — Er kommt dafür extra aus seinem Käfig heraus und erklärt mir in einwandfreiem spanisch, wo ich lang laufen soll. Ich verstehe kein einziges Wort. Wir sollen auf jeden Fall erst einmal bis zu einem großen Platz laufen, dort sind Pfeile oder so was ähnliches. Geredet hat er nun genug, verstanden habe ich so gut wie nichts, trotzdem „Gracias“. Ein freundliches „Ola“ kann nicht schaden.
Nach einer guten halben Stunde komme ich an einen großen Platz. Das müsste er sein. Ich blicke in die Runde, kann aber auf Anhieb keine gelben Pfeile erkennen. Der Platz scheint eindeutig der richtige zu sein, vorher waren es nur kleinere Plätze, dieser ist von allen der Größte. Ich laufe orientierungslos umher, suche krampfhaft weiter nach ihnen, aber kein gelber Pfeil, so weit mein Auge blicken kann. — Plötzlich und völlig unerwartet ruft mich jemand: „Da ist ja Burghard Pohl aus Voerde.“ — Ich drehe mich um und fasse es nicht: Gerade habe ich noch daran gedacht, dass mir immer jemand geholfen hat, und jetzt treffe ich mitten in León, in dieser riesigen Stadt, wo ich vom Weg abgekommen bin, die Frau aus Köln wieder. Sie hat mich in Carrión de los Condes vor dem Lebensmittelgeschäft angesprochen und mich gefragt, ob ich mit dem Hund unterwegs bin. Schon wieder so ein Zufall? — Ich habe schon lang begriffen, dass es keine Zufälle gibt, und trotzdem bin ich jedes Mal von neuem bei solchen Situationen überrascht. — Sie ist mit ihrer Freundin in der Stadt händchenhaltend unterwegs. „Das kann ich nicht glauben, Sie hier in León!“ — „Was machen Sie denn hier?“ — „Ich suche den Jakobsweg. Ich habe ihn seit dem Besuch der Kathedrale aus den Augen verloren. Ein Mann hat mich hierher geschickt, aber ich sehe keine gelben Pfeile.“ — Sie haben
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