rank und schlank und rattenscharf
Pilgerstab und ein Kunde. Dieser Kunde geistert andauernd durch meinen Kopf. Für ihn will und werde ich nach meiner Rückkehr nicht mehr arbeiten. Ich denke oft darüber nach, wie ich es ihm sagen soll, ich möchte ihn nicht verletzen. Soll ich ihm die Gründe dafür erklären? Vielleicht bekomme ich die Klärung hierfür auf diesem Weg? — Viele Gedanken gehen mir durch den Kopf und ich schreibe unaufhörlich in meinem Tagebuch.
Ich habe mich wieder ausreichend erholt und gestärkt. Im Vorbeilaufen verabschiede ich mich von drei Deutschen am Tisch mit einem wohlgemeinten „Buen Camino.“ Dann geht es stundenlang an einer kaum befahrenen Straße entlang, bis wir nach Mansilla de les Mulas kommen. Hier esse ich in einer engen Gasse eine Pizza, die nicht sonderlich schmeckt, aber satt macht. Ich möchte heute noch bis nach Villarente kommen. Als ich dort ankomme und die Pension suche, die auf dem Handzettel stand, stellt sich diese von weitem als nicht gerade einladend dar. Aber von nahem betrachtet ist sie um vieles besser, der erste Eindruck hat getäuscht. Ich binde Kira vor dem Eingang an eine Bank, lege meinen Rucksack und den Pilgerstab dazu und gehe hinein. Es sieht von innen noch besser aus als von außen. — Nicht schlecht, Herr Specht. So kann man sich täuschen. — Ich frage den Inhaber, ob ich ein Zimmer für eine Nacht bekommen kann. — „Si.“ — „Perro?“ — „Si, no Problem.“ — Er führt mich in einen großen Innenhof. Es scheint ein alter Bauernhof zu sein, der zur Herberge umgebaut worden ist. An der Wand befinden sich mehrere Eisenösen, an einer davon soll ich Kira festbinden. — Wir gehen wieder zurück ins Haus und er will mir nun mein Zimmer zeigen. Schon nach wenigen Schritten spüre ich ein ungutes Gefühl in meinem Bauch. Ich spreche ihn in meinem schlechten Englisch an: „No, das geht nicht! Mein Hund muss bei mir mit im Zimmer schlafen!“ — Er sagt: „No! Perro, no!“ — „Dann geht es hier nicht.“
Ein junger Mann, der an einem großen Tisch mit zwei Kindern sitzt und wahrscheinlich der Nachhilfelehrer ist, fragt mich, ob er mir irgendwie helfen kann. Ich erkläre ihm, dass ich Kira nicht hier draußen anbinden werde. Er fragt: „Your dog cry in the night?” — „Yes!” — „Das geht hier nicht, Sie können Ihren Hund nicht mit ins Zimmer nehmen.“ — „Mein Hund wird sich strangulieren, wenn ich ihn hier draußen anbinde. Ich könnte die ganze Nacht kein Auge zumachen!“ — So ein Mist, erst verteilen sie in den Orten Handzettel und weisen auf eine günstige Übernachtung hin, dann nehmen sie nur Menschen, keine Hunde. — Ich kaufe mir ein Eis, nehme es aus der Gefriertruhe im Eingangsbereich und gehe.
Das wäre einfach traumhaft hier gewesen, ein tolles Ambiente, und das für diesen Preis. Wir laufen schlapp und sichtbar frustriert an der Hauptstraße entlang. Ich müsste mal wieder meine nassen Socken wechseln und halte an einer Bar an. Es ist sehr windig und die Plastikstühle vor der Bar kippen einer nach dem anderen um. Ich trinke eine Cola und muss aufpassen, dass der stürmische Wind nicht mein Glas umwirft. Meine nassen Socken binde ich am Rucksack fest und ziehe trockene an. Von meinem Platz aus sehe ich auf der anderen Straßenseite einen gelben Pfeil — Orientierungsmerkmal für den richtigen Weg — und erkenne, dass er auf meine Seite herüber zeigt. — Das ist ja gut, dann brauche ich die Straße erst gar nicht überqueren und kann auf dieser Seite weiter laufen. — Ich erreiche den Stadtrand und baue in aller Seelenruhe mein Zelt auf. Hierfür muss ich erst einmal einige stachlige Pflanzen mit meinem Pilgerstab wegschlagen und zur Seite befördern. Mein Zelt ist schnell aufgebaut und ich lege mich hinein.
Ich liege gerade, da laufen händchenhaltende Pärchen dicht an uns vorbei. Ich zelte keine fünf Meter entfernt vom Weg hinter mannshohen Büschen. Das Wetter und dieser Weg sind ideal für einen schönen Sonntagabend-Spaziergang. Kira muss ich immer wieder ermahnen: „Halt bloß die Klappe.“ — Ihr Fell ist voller Kletten, sie hat sich ins hohe Gras gelegt, während ich das Zelt aufgebaut habe. Ich habe ihr heute Mittag schon einmal Kletten aus dem Fell schneiden müssen. — Es ist erst halb neun und ich schreibe in meinem Tagebuch, es ist fast voll geschrieben. Ich muss mir noch ein zweites kaufen. Eine SMS von Willi:
Sonntag bin ich in Santiago. Wie geht’s weiter? Gruß
Ich denke über seine SMS
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