rank und schlank und rattenscharf
gerade gekauft habe, Kira bekommt wie immer ihre Wiener Würstchen. Die schmecken ihr immer noch, besser als das trockene Hundefutter zu Hause. Ein Kunde fragte mich im Vorfeld meiner Pilgerreise: „Was soll denn Ihr Hund unterwegs fressen?“ — „Wieso, das ist doch kein Problem. Ich nehme einen Sack Hundefutter mit. Fünfzehn Kilo, damit wird er doch auskommen, oder?“ — „Das wollen Sie alles schleppen?“ — „Ach, quatsch! Ich kaufe ihm unterwegs Futter.“ — Das Kira ausschließlich Wiener Würstchen frisst, davon bin ich damals noch nicht ausgegangen.
Heute Morgen ist der Himmel wolkenverhangen. Als wir über die Wiese zurück zum Weg laufen, treffen wir dort unmittelbar auf den Franzosen, den Kira überhaupt nicht leiden mag. Er spricht sie — wie immer — sofort an. Kira knurrt, bellt und zeigt ihm die Zähne. Ich bin gespannt, wer es schneller lernt, Kira oder er. — Er fragt mich in perfektem Französisch, ob ich heute Nacht hier draußen geschlafen habe. Ich nicke. — Wir treffen uns an diesem Tag ständig wieder, und in Reliegos ist er vor mir in der Bar Gil. Ich habe mächtigen Kohldampf, esse drei Baguette, trinke einige Cola und schreibe in meinem Tagebuch. Beim Schreiben beobachte ich die Leute. Einer fällt mir ganz besonders auf: Ein durchtrainierter Typ mit einem Zopf und exakt gepacktem Rucksack. Das außergewöhnliche ist: Er geht in die entgegengesetzte Richtung, quasi dahin, wo ich gerade hergekommen bin. Ein Auto hält an, ein Mann steigt aus und verteilt an alle Pilger, die vor der Bar sitzen, Handzettel. Es handelt sich dabei um einen Hinweis auf eine entfernt gelegene Pilgerherberge in Villarente. Sie bietet die Übernachtung ab 6,- € an, ich stecke ihn mal ein.
Heute ist Sonntag, die Glocken läuten und die Menschen gehen zur Kirche. Es sind fast nur Frauen, die zum Gottesdienst gehen, und einige wenige alte Männer. Glaube ist in Spanien — genau wie in Deutschland — überwiegend Frauensache, zumindest wenn es um den Gottesdienstbesuch geht. Männer tun sich damit deutlich schwerer als Frauen. Bei mir war es nicht anders. Nach meiner Konfirmation habe ich den Kontakt zur Kirche schnell verloren, dieser wurde erst wieder notwendig, als wir kirchlich geheiratet haben. Da ich evangelisch bin und Anne katholisch, wollten wir ökumenisch heiraten. Dieser Gedanke wurde jedoch gleich im Keim vom katholischen Pastor erstickt: „Ökumenisch, aber nicht bei mir, da müssen sie woanders hingehen.“
- Wer so mit den ihm anvertrauten Menschen umgeht, muss sich nicht wundern, wenn die Kirchenbänke leer sind oder die Leute gleich ganz aus der Kirche austreten.
Die Kirchen werden auch durch andere Erfahrungen immer leerer. Kirche und Glaube sind zweierlei Schuhe, obwohl ich heute der Meinung bin, Glauben ohne Kirche geht auch nicht. Darüber kann jeder seine eigene Meinung haben und sie auch behalten.
Lange Jahre gab es keinen vernünftigen Grund, warum ich wieder in eine Kirche gehen sollte. Das änderte sich nur an den Tagen, an denen meine Kinder getauft wurden oder zur Kommunion und Firmung gingen; dazwischen gab es noch die eine oder andere Beerdigung.
Ich wusste nicht, was ich in ihr finden kann. — Wer nicht sucht wird auch nichts finden. — Wonach suchen denn die Menschen? Was suchen die Menschen auf dem Jakobsweg? — Dann kam die Wende. Ich wurde von einer ehemaligen Mitschülerin aus meiner Volksschulklasse gefragt, ob ich nicht als Presbyterkandidat in unserer Kirchengemeinde kandidieren wolle. — Ich dachte: Was soll das denn? Warum gerade ich? Ich, der seit dreißig Jahren Kirchen nur noch von außen kennt, werde gefragt, für solch ein Amt zu kandidieren! — „Das muss ich mir erst einmal durch den Kopf gehen lassen.“ — Ich überlegte hin und her; rückblickend war es gut, mir diese Zeit zu nehmen. Nach einer Woche stimmte ich einer Kandidatur zu.
So sollte es kommen, dass ich gewählt wurde. Heute weiß ich warum: Wenn Gott Menschen ruft, sollten sie seinem Ruf folgen und handeln, ungeachtet von persönlichen Konsequenzen und Niederlagen. Es ist ein verantwortungsvolles Amt, gerade in finanziell schwierigen Zeiten.
Das Vertrauen auf Gott hat mir immer geholfen. Ein Gebot von unsagbarer Tragweite: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Lerne deine Feinde lieben, Freunde zu lieben ist nicht schwer.
Immer wieder beschäftigen mich zwei Dinge, wenn ich um drei Uhr morgens wach im Zelt liege und Musik höre: Es ist nach wie vor mein
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