Rankin, Ian - Rebus - 06 - Blutschuld
wollte, außer vielleicht, weil er ihn sich nicht als Feind gewünscht hätte. Smylie nickte bedächtig und tauschte dabei einen Blick mit Kilpatrick, einen Blick, den Rebus nicht verstand.
Kilpatrick berührte Smylies Arm. »Ich halt Sie dann nicht weiter auf.« Er drehte sich um und rief einem anderen Beamten zu: »Jim, irgendwelche Anrufe?« Dann entfernte er sich.
Rebus wandte sich zur Karte. »Fährlinien?«
»Von der Ostküste geht keine Fähre.«
»Doch, nach Skandinavien.«
»Die hier nicht.« Da war was dran. Rebus beschloss, es noch einmal zu versuchen.
»Dann Boote?«
»Boote, ja. Wir glauben Boote.« Rebus hatte ihm eigentlich einen sonoren Bass zugetraut, aber seine Stimme war im Gegenteil seltsam hoch, als habe der junge Smylie den Stimmbruch noch nicht ganz hinter sich. Vielleicht war das der Grund, warum er nicht viel redete.
»Sie interessieren sich also für Boote?«
»Nur wenn sie Schmuggelware ins Land bringen.«
Rebus nickte. »Waffen.«
»Vielleicht Waffen.« Er deutete auf einige osteuropäische Häfen. »So wie die Dinge heutzutage liegen, gibt’s in und um Russland Unmengen Waffen. Reduziert man seine Streitkräfte, bleibt ein Haufen Material übrig. Und hat man eine Wirtschaftslage, wie sie dort nun einmal ist, gibt’s eine Menge Leute, die Geld brauchen.«
»Also stehlen sie Waffen und verkaufen sie?«
»Wenn sie sie überhaupt stehlen müssen. Viele ehemalige Soldaten haben ihre Waffen behalten und zusätzlich noch allerlei Andenken mitgenommen. Zeug aus Afghanistan und woher auch immer. Hier, setzen Sie sich.«
Sie setzten sich an Smylies Schreibtisch, Smylie selbst in einen Plastikstuhl, der viel zu klein für ihn war. Smylie zog aus einer Schublade ein paar Fotos heraus. Sie zeigten Maschinengewehre, Panzerfäuste, Granaten und Raketen, panzerbrechende Geschosse, ein ganzes verstaubtes Arsenal.
»Das ist nur ein kleiner Teil dessen, was man gefunden hat. Das meiste davon auf dem Festland: Holland, Deutschland, Frankreich. Aber manches natürlich auch in Nordirland, etwas in England und Schottland.« Er tippte mit dem Finger auf das Foto eines Sturmgewehrs. »Diese AK 47 wurde bei einem Banküberfall in Hillhead benutzt. Wussten Sie, dass Professor Kalaschnikow heutzutage Handlungsreisender ist? Die Zeiten sind hart, also klappert er die Waffenmessen auf der ganzen Welt ab und verkloppt seine Kreationen. Wie diese.« Smylie hob ein anderes Foto auf. »Jüngeres Modell, die AK 74. Das Magazin ist aus Kunststoff. Genau genommen ist das die 74S, noch ziemlich selten auf dem Markt. Eine Menge von dem Zeug durchquert Europa dank der freundlichen Unterstützung von Rockerbanden.«
»Hell’s Angels?«
Smylie nickte. »Einige von ihnen stecken bis zum tätowierten Hals in der Sache und verdienen sich daran dumm und dämlich. Aber es gibt noch andere Probleme. Viel von der Ware kommt auf direktem Weg zu uns. Auch unsere Streitkräfte bringen Andenken mit nach Haus, von den Falklandinseln oder aus Kuwait. Kalaschnikows, was Sie sich nur vorstellen können. Nicht jeder wird durchsucht. Später wird’s entweder verkauft oder gestohlen, wobei sich die Eigentümer dann natürlich hüten, den Diebstahl zu melden.«
Smylie hielt inne und schluckte; vielleicht wurde ihm bewusst, wie viel er geredet hatte.
»Ich dachte, Sie wären der wortkarge Typ«, sagte Rebus.
»Manchmal geht’s mit mir durch.«
Smylie begann, die Fotos wieder einzusammeln.
»Das wär’s im Wesentlichen«, sagte er. »Was schon hier ist, ist hier, und wir können kaum was dran ändern, aber mit Hilfe von Interpol versuchen wir den Handel zu stoppen.«
»Sie wollen doch nicht etwa sagen, dass Schottland ein Abnehmer für dieses Zeug ist?«
»Ein Kanal, das ist alles. Es kommt auf dem Weg nach Nordirland hier durch.«
»Zur IRA?«
»Zu jedem, der das nötige Geld dafür hat. Momentan glauben wir eher, dass es eine protestantische Geschichte ist. Wir wissen nur nicht, warum.«
»Wie viele Beweise haben Sie?«
»Nicht genug.«
Rebus dachte nach. Kilpatrick hatte nicht viel gesagt, aber die ganze Zeit war er davon überzeugt gewesen, dass der Mord eine gewisse Beziehung zu den Paramilitärs haben musste, weil er in das bisherige Gesamtbild passte.
»Sie sind also der Typ, der das Six-pack gesehen hat?«, fragte Smylie. Rebus nickte. »Sie könnten durchaus Recht damit haben. Falls ja, muss das Opfer mit der Sache zu tun gehabt haben.«
»Oder er ist nur zufällig reingeraten.«
»Das scheint eher
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