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Rapunzel auf Rügen: Roman (German Edition)

Rapunzel auf Rügen: Roman (German Edition)

Titel: Rapunzel auf Rügen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Bieling
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Hause verlief wortlos. Ich hatte mich bei Richard eingehakt, um nicht im Dunkel des hereinbrechendenAbends über eine Unwegsamkeit zu stolpern. Richard nannte es Nachtblindheit. Ein Makel, den ich seit frühester Kindheit hatte. Der schmale Weg führte geradewegs ins Dorf zurück. Ich sah hinaus zum Horizont und bewunderte die Wolkenformationen, die sich künstlerisch ineinanderschoben. Das Wasser reflektierte die Lichter, die sich durch das himmlische Kunstwerk hindurchdrängten. Wellenartig tanzten sie auf und ab, begleitet vom Rauschen des Meeres. Ich atmete tief ein, schmeckte das Salz, das in der Luft lag und mir ein unglaublich befreiendes Gefühl verlieh. So völlig anders als in Berlin. Der Wind frischte auf. Das tat er immer gegen Abend, hatte Claudia erzählt. Sanft fuhr er durch mein Haar, das sich mit einem Mal so federleicht anfühlte. Vielleicht war das auch ein Grund dafür, warum ich mich an diesem Abend so frei fühlte.
    »He, Antonio. Komm runter und sieh dir das an!«, rief Ortrud die Treppe im Flur hinauf.
    Verlegen klammerte ich mich an Richards Arm. »Ach was, ist doch nur ein neuer Haarschnitt.«
    »Du siehst fantastisch aus«, jubelte Claudia. »So ganz anders irgendwie.«
    »Weiblicher?«, fragte ich zögerlich.
    »Ja, das trifft es. Deine Wangenknochen sind für diesen Haarschnitt wie gemacht«, schwärmte sie weiter. »Ich wünschte, ich könnte mein Haar auch so tragen.«
    »Dann tu es doch«, mischte sich Antonio ins Gespräch, der die Treppe hinunterkam. »Wow! Eine völlig andere Frau, die ich da sehe. Ich glaube, das sollten wir begießen.«
    »Also wenn es Champagner gibt, dann bleibe ich noch«, sagte Richard. Er zog sein Sakko aus und hing es über einen der Küchenstühle.
    Ortrud, die derweil den Tisch mit Gläsern bestückt hatte, hielt kleine Fläschchen in die Höhe. »Ich kann aber nur mit Prosecco dienen.«
    Richard beäugte die Winzlinge. »Trocken? Wie furchtbar!«
    Ich stieß Richard vor den Arm. »Hör auf zu meckern.« Immerhin war mir ein trockener Perlwein lieber als Ortruds Teemischung.
    Richard rieb über die getroffene Stelle seines Armes. »Deine Manieren sind aber nicht femininer geworden.«
    Ich warf ihm einen eindringlichen Böse-Freundin-Blick zu und setzte mich neben ihn. Antonio, der mir gegenübersaß, grinste mich mit funkelnden Augen an. »Ich kann das gar nicht glauben. Das hässliche Entlein ist ein attraktiver Schwan geworden.«
    »Moment mal! Ich war niemals hässlich!« Hilfesuchend drehte ich mich zu Richard um, der gerade Claudia zuprostete. »Stößchen, meine Liebe.«
    Claudia kicherte verlegen. Wahrscheinlich hatte sie noch nie zuvor mit einem Schwulen Prosecco getrunken. »Rich, würdest du Antonio bitte mal sagen, dass ich nicht hässlich war.«
    Aber anstatt mir beizustehen, winkte er nur ab und widmete sich wieder Claudia, die eine Diskussion über Gesichtsmasken entfachte. Ich nippte an meinem Glas und blickte in die Runde. Alle redeten durcheinander, aber keiner bemerkte meine Tränen. Ich zog eine Haarsträhne aus meiner Jackentasche, die mir Franz Pferdinger zur Erinnerung mitgegeben hatte. Er hatte sie liebevoll mit einem blauen Schleifchen versehen. Den Rest der Haare wollte er einem Kollegen in Brandenburg schicken, der sich als Perückenmacher verdingte. Ein guter Mann, sagte er, bevor mein kiloschweres Haar in einem Beutel verschwand, auf den er meinen Namen schrieb.
    Antonio stand auf und stieß mich an. »Lust auf einen Tanz?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Über das Entlein lästern, aber mit dem Schwan tanzen wollen. Pah!« Ich warf meinen frisch frisierten Kopf fast ebenso lässig in den Nacken, wie Richard es in solchen Situationen zu tun pflegte. Sollte Mister Arrogant doch mit sich selbst tanzen.

Mann O Mann
    Schlimm genug, dass mir Richard den vorabendlichen Frisuren-Umtrunk verdorben hatte. Jetzt musste er auch noch das Frühstück an sich reißen und den Kosmetikberater mimen. Wütend zog ich meine flauschige Schäfchenpyjamahose hoch und schlurfte, wild entschlossen ihn von seinem Thron zu stürzen, einem Déjà vu entgegen. Ortrud und Claudia sahen mit ihren Quarkmasken nicht anders aus als Elke und Sarah daheim in Berlin. Der einzige Unterschied bestand in der Form der Gurkenscheibchen, die hübsch drapiert ihre Quarkgesichter schmückte. Sie quiekten vor Freude, wie kleine Ferkel, denen man eine Matschgrube zum Spielen gegraben hatte.
    Als Claudia mich bemerkte, zeigte sie zur Teekanne. »Der Tee ist durchgezogen, wenn

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