Rapunzel auf Rügen: Roman (German Edition)
kichern. Zu lustig erschien mir dieser Gedanke. »Es gibt einen medizinischen Begriff dafür?«
Er nickte und wiederholte den Begriff, der eher nach einem Seelachsgericht klang als nach einer schlimmen Erkrankung. Aber das behielt ich lieber für mich. Ich wollte keinesfalls den Anfang einer wundervollen Nacht durch alberne Gedankensprünge gefährden. Nichtsdestotrotz wusste ich jetzt, dass meine Angst einen Namen hatte: Selachophobie. Und die hatte Paris-Hilton-Verschnitt Isabell gewiss nicht.
Am nächsten Morgen erwachte ich mit einem Lächeln im Gesicht. Hendrik sah genauso glücklich aus wie ich. Der Blick zur Uhr trieb mich jedoch aus den Federn. »In einer Stunde muss ich auf Deck sein.«
Hendrik zog sich die Bettdecke über den Kopf. »Okay«, murmelte er.
»Zwei Bestattungsmenüs, davon eins à la Carte und eins exklusiv«, erläuterte ich auf dem Weg ins Bad. Gott, was ist mit meinen Haaren? Wie Ferkelschwänzchen kringelten sie sich in alle Richtungen. »Ich brauche einen Föhn«, rief ich ins Schlafzimmer. »Und eine Rundbürste.«
»So was gibt es hier nicht«, nuschelte Hendrik verschlafen.
Wie? Ein Haus ohne Föhn? Ich wurde nervös. »Was mache ich denn jetzt?«
»Lass sie lufttrocknen.«
»Ich will sie nicht waschen, ich will sie über eine Rundbürste föhnen«, erklärte ich panisch. Die Uhr tickte gnadenlos weiter, und ich sah mich schon mit gekringelten Ferkelschwänzchen vorm Soßentopf stehen. Brömme würde mich anzählen, Ortrud den Kopf schütteln und Claudia sich weghauen vor Lachen. Nein! Diese Lachnummer wollte ich ihr nicht gönnen!
»Bei Ortrud im Haus gibt es einen Föhn«, stellte ich noch mal laut klar, während ich jede einzelne Strähne anfeuchtete und über die Finger formte. Dann fiel mir Trick siebzehn ein, den Richard bei hartnäckigen Locken anwandte. »Wo liegt deine Rasiercreme?«
»In der Dose, neben dem Spiegel.«
»Das ist Rasierschaum.«
»Ich weiß.«
»Aber ich brauche Creme.«
»Tut mir leid, aber ich verwende keine Creme. Wofür brauchst du die denn?«, fragte Hendrik hörbar genervt von meiner Hektik.
»Fürs Haar.«
»Ich weiß zwar nicht, was du damit vorhast, aber du kannst meine Anti-Age-Gesichtscreme nehmen.«
Klasse! Jetzt soll ich mir auch noch Faltenglattmacherzeugs ins Haar schmieren, nur weil mein Freund unbedingt Rasierschaum anstatt Creme verwenden muss, dachte ich so bei mir und hoffte inständig auf ein gutes Ergebnis.
Ortrud empfing mich mit einer Tüte, in der eine maßgenaue Kochuniform steckte. »Erzähl, wie gefällt es dir?« Dabei drückte sie mir die Arbeitssachen in die Hand.
»Och, ganz gut«, versuchte ich auszuweichen. Ich hatte keine Lust über fehlende Elektrogeräte, verkohlte Bratpfannenund die Eigenarten meines Freundes zu debattieren.
Fürsorglich wie immer entfernte sie Katzenhaare von meiner Jacke. Dabei musterte sie mich skeptisch. »Ich weiß nicht, du bist heute so verschwiegen. Ist wirklich alles in Ordnung?«
»Klar! Ich bin nur stinkig, weil ich den Ersatzkoch mimen muss.«
Ortrud nickte verständnisvoll. »Ist doch nicht für immer«, flüsterte sie mir zu, bevor sie ihr Halstuch richtete und arbeitsbewusst aus der Umkleidekabine stürmte. Claudia hingegen bummelte genauso herum wie ich. Sie war an diesem Tag ungewöhnlich wortkarg, was mich sehr verwunderte.
»Bist du krank?«, fragte ich sie.
»Nö!«
Ich hätte gerne mehr als nur ein Nö erfahren, wollte ihren Redefluss jedoch nicht unnötig herausfordern und beließ es dabei. Vielleicht hatte sie ja in ihrem kurzen Leben zu viel geredet, und nun waren ihr die Worte ausgegangen, so wie in diesen Stummfilmen. Claudia in Schwarzweiß mit Untertext, ich musste grinsen. Das wäre so ähnlich wie ein Kanarienvogel in der rauen Eifel oder Paris Hilton in einer christlich geführten Suppenküche. Dagegen war mein Beikoch-Dasein nur eine lästige Begleiterscheinung im alltäglichen Job. Sollte sie doch schweigen, meinetwegen für immer, mich würde es nicht stören. Oder doch? Ich blickte sie an. Sie wirkte müde.
»Menschenskind! Das hält ja keiner aus!«, fluchte ich.
»Was denn?«, stammelte sie zurück.
»Du hast den Rock verkehrt herum an. Und überhaupt … sag doch endlich mal was!«
Claudias Augen füllten sich mit Tränen. Sie setzte sichund schlug die Hände vors Gesicht. »Dieser Scheißkerl! Wie kann er mir das antun?«, heulte sie los.
Scheißkerl? Alles klar! Es ging um ihren Freund, den sie mir mal auf einem Foto gezeigt hatte, das sie
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