Rapunzel auf Rügen: Roman (German Edition)
stets in ihrer Geldbörse trug. »Was hat er getan?«, hakte ich nach.
»Betrogen hat er mich! Und verlassen«, schluchzte sie.
Ein klarer Fall von enttäuschter Liebe und Herzschmerz. Ob es dafür auch einen medizinischen Begriff gab? Spontan fiel mir wieder meine Hai-Angst ein.
»Mensch, Claudia«, begann ich tröstend auf sie einzugehen. Dabei rieb ich mit meiner Hand über ihren Rücken, so wie es Großmütter bei hingefallenen Kindern taten. »Ich leide unter einer Selachophobie, das ist schlimmer, als verlassen zu werden.«
Sie wischte die Tränen weg. »Was? Stirbst du daran?«
Daran sterben? Hm … Ich war mir nicht sicher, inwiefern man an einer extremen Angst sterben konnte, aber der medizinisch verordnete Name der Erkrankung ließ es quasi vermuten und machte die Hai-Angst zu einer Endzeitdiagnose, wenn auch nur für Claudia. Ich räusperte mich und legte eine bedenkliche Miene auf.
»Ach, das tut mir so leid für dich«, jammerte sie. Sie schnäuzte sich, stand auf und rückte ihren Rock gerade. »Weißt du was? Du hast recht! Ich sollte dem Betrüger keine Sekunde nachtrauern. Das ist er nicht wert.« Dann drückte sie mir ein Küsschen auf die Wange und hastete hinaus.
Ich sah noch eine Weile zur Tür. Hätte ich vielleicht Psychiaterin werden sollen? Gewiss hätte ich genug Verdienst, um diesem Bratpfannenfuzzi sein Schmerzensgeld in den Rachen zu schieben oder wenigstens genügend Einfluss, um ihn wegen Realitätsverlust dauerhaft einweisen zu lassen. In der Psychiatrie würde ihm sein mies ergaunertesSchmerzensgeld sowieso nichts nutzen, und überhaupt war ich immer noch der Meinung, dass es ihm gar nicht zustand.
Brömme grinste, als er mich sah. Das tat er neuerdings häufiger. Wahrscheinlich stand er auf Frauen in Kochklamotten, und seine eigene musste ihn vielleicht im Kochoutfit sexuell anheizen. Hatte Brömme überhaupt eine Frau? Grauenhaft diese Vorstellung, wenn man bedenkt, dass er vielleicht hinter seiner seriösen Fassade eine abartige Bestie war. Ich nickte zum Gruß und huschte an ihm vorbei. Sein Aftershave war an diesem Morgen alles andere als dezent. Es wanderte mit dem Luftzug, den ich mit Schwung in die Küche brachte, hinein und versetzte den Koch in Atemnot.
»Meine Güte«, schimpfte der. Dabei wedelte er mit seiner eingegipsten Hand vor der Nase herum. »Hatte ich nicht gesagt, dass in der Küche keine Deos oder andere Duftsprays erwünscht sind?«
»Ist Aftershave«, nuschelte ich im Vorbeigehen. Ich begab mich ans Schneidebrett, wo schon allerhand Gemüse zum Abspülen und Schneiden auf mich wartete.
»Aftershave? So, so«, murmelte der Koch vor sich hin, während er das Dressing anrührte.
Für einen kurzen Moment überlegte ich, die Sache mit dem Aftershave aufzuklären und ihm zu sagen, dass nicht ich, sondern Brömme dieses furchtbare Zeugs verwendet hatte, ließ es aber bleiben und schnippelte wortlos die Beilagen auf ein mundgerechtes Maß.
Berlin , ick komme
Die Tage bei Hendrik im Hause vergingen wie im Flug und waren die wundervollsten, die ich je erlebt hatte. Nicht eine Sekunde hatte ich bereut, zu ihm gezogen zu sein. Im Gegenteil, ich entdeckte Seiten an mir, die ich vorher nicht gekannt hatte. Und auch das Assistieren bei abendlichen Notfällen machte mir zunehmend Spaß. Ich half tatsächlich einem Fohlen auf die Welt, bandagierte einem Jagdhund die Pfote und befreite eine Lachmöwe aus einem Fischernetz. Ja, ich war auf dem besten Wege, eine gute Tierarztfrau zu werden. Aber ich freute mich ebenso auf meine freien Tage in Berlin. Hendrik hatte angeboten, mich zu fahren und auch wieder abzuholen. Voller Spannung packte ich meine Tasche. Schließlich hatte ich Richard eine Menge Neuigkeiten zu berichten.
»Du siehst wunderprächtig aus.« Richard umarmte mich. Dabei rannen winzige Tränen über seine Wangen.
»Nun heul doch nicht«, beruhigte ich ihn. »Du hast mich jetzt drei ganze Tage und wirst noch froh sein, mich wieder loszuwerden.«
Hendrik stand, mit meiner Reisetasche in der Hand, neben mir. Er verfolgte wortlos unser Begrüßungsritual. Und mit Sicherheit wunderte er sich auch über die traditionellen Luftküsschen, die Richard rechts und links meiner Wangen verteilte.
»Richard, darf ich vorstellen: Hendrik Zapf.«
Hendrik reichte ihm vorsichtig die Hand. Auf seiner Stirn pressten sich deutlich sichtbar Schweißperlen aus den Poren. Richard wird ihn doch nicht küssen? Das tat er nämlich, wenn es um Menschen ging, die er mochte,
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