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Rapunzel auf Rügen: Roman (German Edition)

Rapunzel auf Rügen: Roman (German Edition)

Titel: Rapunzel auf Rügen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Bieling
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du das auch?«
    Ich zuckte mit den Schultern. Was wusste ich denn schon? Immerhin war am Rettich mehr dran, und er ließ sich wesentlich besser in Scheiben schneiden.
    Claudia hielt zu Ortrud. »Radieschen sind doch kein Rettich!«
    »Stimmt!«, gab Sarah zu. »Sie heißen anders, aber schmecken genauso.«
    Die Lage spitzte sich zu, als Ortrud mit einem dicken Buch über Gemüse- und Obstsorten auftauchte. Das hatte sie zwischen ihren Susanne-Fröhlich-Romanen versteckt, weil es dort ganz bestimmt keiner klauen würde. Immerhinwar es ein Erbstück von der Großmutter ihrer Großmutter. Ich glaubte das sofort. Die Buchseiten waren vergilbt und brachen wie Zuckerpapier, wenn man sie zu schnell umblätterte. Dieses Buch war Kult, und Ortrud nahm es nur in den seltensten Fällen zur Hand.
    Sie legte es auf den Tisch und schlug es auf. Dann tippte sie mit dem Zeigefinger auf eine veraltete Zeichnung eines kegelförmigen Rettichs. »Da steht, dass Rettich Mundgeruch verursachen kann.«
    Sarah las ebenfalls interessiert. »Aber dafür deckt ein einziger Rettich den Tagesbedarf eines Erwachsenen an Vitamin C.«
    »Iss einen Apfel, der tut das auch«, bemerkte Ortrud spitz.
    »Aber der hat keine Bitterstoffe, die eine antibiotische Wirkung haben, gallentreibend sind und den Schleim in den Atemwegen lösen«, erwiderte Sarah und stieß mich an. »Nun sag doch auch mal was! Du arbeitest doch in der Schiffsküche, du musst das doch wissen.«
    Musste ich das? Ich hatte aber keine Lust, was zu sagen. Schon gar nicht, wenn es um irgendwelche Speicherknollen ging, die ich persönlich nur mit Salz auf Brot aß. »Ist mir egal«, versuchte ich meine neutrale Position zu stärken.
    Aber Ortrud gab nicht auf und blätterte weiter. »Da«, rief sie und klopfte demonstrativ mit dem Zeigefinger auf die Information eines Koches, der zweifelsohne der Opa von Charly Chaplin war. »Radieschen passen zu Schweinefleisch, und Rettich paßt zu Rind.«
    Aha! Die Kreuzblütengewächse sind also auf unterschiedliche Fleischsorten aufgeteilt. Na und?, dachte ich bei mir.
    Claudia hing sich erneut ins Gespräch. »Der Rettichgeschmack ist einfach stärker ausgeprägt, wohingegen dasRadieschen durch Form und Farbe punktet und besser zum Schweinebraten passt.«
    Sarah schüttelte den Kopf. »So ein Blödsinn! Als wenn man Rettich nicht auch zum Schwein essen könnte.« Eingeschnappt polterte sie die Treppe hinauf, gefolgt von Knuffelbär, dem es offenbar zu laut herging. Gerade als mich Ortrud vom Soßenrezept des vergilbten Chaplin-Kochs überzeugen wollte, klingelte das Telefon. Ich packte derweil den Rest des Einkaufs aus. Und als ich die Tüte mit der beim Taliban ausgelösten Sonnenbrille zur Hand nahm, schoss mir eine Frage durch den Kopf: Woher hatte Sarah eigentlich das Geld?

Die Wege des Schicksals
    Der Rührkuchen stand inmitten des gedeckten Abendbrottisches. Und eigentlich hätte sich jede von uns darauf gestürzt, so lecker und saftig wie er aussah. Aber die Nachricht von Harrys Tod, die Ortrud innerhalb weniger Sekunden zur Witwe machte, verdarb uns den Appetit. Keiner sprach oder diskutierte über Radieschen und Co. Stille legte sich wie ein Sargdeckel über uns und ließ den Rettich-Soßen-Streit verblassen. Ich senkte meinen Blick. Diese Nachricht hatte auch in mir etwas wachgerüttelt, so dass ich das Bedürfnis verspürte, Richards Stimme zu hören. Das Leben konnte so kurz sein, mit einem Schlag vorbei und ausgelöscht. Ich schenkte Ortrud Tee nach. Dabei rieb ich bedauernd über ihren Rücken. Sie nickte mir zu und schnäuzte sich. Ich versuchte wieder etwas Leben an den Tisch zu bringen. Schließlich sollte Ortrud nicht in eine dauerhafte Depression verfallen. Immerhin lebte sie, auch wenn jetzt schmerzhafte Zeiten der Trauerbewältigung vor ihr lagen. Ich erzählte, wie ich in Berlin Roger Whittaker auflegte, den Tisch dazu passend deckte, und das alles nur, um mich gebührend für ein halbes Jahr zu verabschieden. Und ich erzählte, dass ich überzeugt bin, dass es nur auf das Wie ankommt, wenn es um schlechte Nachrichten ginge. Ich erzählte und erzählte … Und irgendwann griff sich Ortrud ein Stück Kuchen. Gott sei Dank! Sie hat den ersten Schock überwunden, dachte ich. Von wegen! Sie blickte mich an und sagte, ich sollte entweder den Mund halten oder sie würde ihn mir mit Rührkuchenstopfen. Dabei hielt sie den Kuchen kriegerisch in ihrer rechten Hand, bereit, ihn ins gegnerische Mundwerk zu drücken.
    Die meint es ernst,

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