Rapunzel auf Rügen: Roman (German Edition)
meiner Matratze tummelten. Als wenn ich was dafür konnte, dass irgendwie das Gesundheitsamt dahinterkam und das Heim für zwei Wochen schloss. Ein Gratis-Urlaub für die Kinder des Heimes war dann auch noch drin, in einem ehemaligen FDGB-Ferienlager, außerhalb der Saison. Aber ich war angezählt, stand auf der schwarzen Liste der besonders schwierigen Kinder. Ortrud war eben auch geprägt vom Osten, trotz ihrer ostfriesischen Vermählung nach der Wende. Ihre Wurzeln waren unverkennbar.
Als ich drei Stunden später auf Mokkaböhnchen ins feindlich belagerte Heim knatterte, hörte Sarah mich schon von weitem. Klar, es war nach zehn Uhr, eine Zeit, zu der die Rüganer am liebsten die Wellen hochklappen und die Touristen von der Insel scheuchen würden. Ein ordentlicher Rüganer saß um diese Uhrzeit in seinem Ohrensessel, mit einem Schmöker in der Hand. Aber ich hatte mindestenszwei gut durchdachte Ideen im Gepäck, wie ich Isabell aus dem Hause bekommen konnte.
Sarah stand vor dem Haus und rauchte. Als sie mich sah, schnippte sie die Zigarette weg und kam mir entgegen. »Echt mal«, schimpfte sie. »Diese Schnepfe hat sie doch nicht mehr alle.«
Schnepfe? Sie konnte nur Miss Kriegerprinzessin meinen. »Was ist denn passiert?«, fragte ich.
Sarah drückte mir ein Küsschen auf die Wange und winkte theatralisch ab. »Behauptet die doch, aus ihrer Fetzenhandtasche würde ein Hunderter fehlen.«
»Was? Einhundert Euro?«, wiederholte ich skeptisch. Ich konnte mir nicht vorstellen, warum Isabell so was behaupten sollte, wenn es nicht stimmte. Zumal es keinen Sinn hatte, da es ihr doch gewiss nur darum ging, Hendrik zurückzuerobern. »Vielleicht hat sie sich nur verzählt«, mutmaßte ich und schlenderte mit Sarah hinein. Aber drinnen wartete schon Hendrik auf meine Heimkehr, um mir ebenfalls von erneut fehlenden Geldscheinen zu berichten. Dann musterte er mich, gefolgt von der Frage, wo ich denn bis jetzt gewesen sei.
Der denkt doch nicht etwa …? Doch! Dachte er! Isabell hatte Hendrik, die Liebe meines Lebens, auf ihre intrigante Seite gezogen. Und das Allerschlimmste – er glaubte ihr. Wie hatte sie das nur geschafft? Am Ende des Tages meinte Hendrik die Wahrheit zu kennen – Isabells Wahrheit. Und er sah mich mit einem Blick an, in dem sich die Enttäuschung einer großen Liebe widerspiegelte.
Unter Verdacht
Wie konnte er das denken? Von mir! Ich hatte doch noch niemals in meinem ganzen Leben etwas gestohlen oder ungefragt entnommen. Okay, vielleicht ein einziges Mal im Kinderheim, als meine damalige Zimmergenossin und Erzfeindin Monika von den Leuten, die sie adoptieren wollten, ein sprechendes Schaf bekommen hatte. Ausgerechnet ein Schaf! Und es machte mäh und sagte Guten Tag in vier Sprachen! (Zur Erklärung: Ich bin absoluter Schaf-Fan. Schafe ziehen mich magisch an, mit einer Kraft, der ich als Kind nicht widerstehen konnte.) Ich war also nach dem psychologischen Grundgesetz Opfer eines Schafzwanges. Und seit Berlin und Richards Buch über Ängste und Zwänge wusste ich auch, dass ich damals, nach der Schafsentführung, die ja eigentlich keine richtige war, an einer ausgeprägten Mastigophobie litt – der Angst vor Bestrafung. Und die fiel nicht gerade gering aus. Zimmerarrest und Fernsehverbot waren nichts gegen den Zwangsentzug des Schafes, das ja – ich erwähnte es schon – in vier verschiedenen Sprachen Guten Tag mähte. Und ich hatte ihm sogar schon einen Namen gegeben.
Knuffelbär riss mich mit einem unsanften Pfotenschlag aus den traurigen Erinnerungen. Aber die Realität war auch nicht weniger trüb. Ich legte die letzten Kleidungsstücke in die Reisetasche und fuhr mit meiner Hand darüber. So, fertig und startklar! Sarah hockte vorm Bett. Sie kraulte Füchschen, der mich mit seinen Knopfaugen fragend ansah. »Und wie sollen wir ihn transportieren?«
»Gute Frage, nächste Frage . « Ich hatte nicht die geringste Ahnung. »Also auf Mokkaböhnchen passen bestimmt keine zwei Personen mit Reisetaschen, Rucksäcken und zwei Tieren«, mutmaßte ich.
Sarah zuckte mit den Schultern. »Tja, und wie kommen wir in dieses Nest Muglitz?«
Ich dachte an Ortruds Smart, der wenigstens noch etwas mehr Platz bot als meine Vespa. Vielleicht könnte sie …? Ich griff zum Handy und rief sie an. Und tatsächlich! Ortrud zeigte Verständnis für meine Situation. Obwohl ich ihr Füchschen erst mal verschwieg und nur was vom Kater Knuffelbär murmelte. Kein Problem, versicherte sie und setzte sich in ihren
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