Rapunzel auf Rügen: Roman (German Edition)
warnte mich meine innere Stimme. Ich zog es vor zu schweigen, obwohl ich mittlerweile echt Hunger hatte. Und so ein leckeres Stück Kuchen … Das erneute Klingeln des Telefons durchbrach die Stille. Ich sprang auf. Vielleicht hatten die Ärzte sich ja getäuscht! Vielleicht lebte Harry noch! So etwas hörte man doch immer wieder. Und medizinische Geräte konnten sich doch auch mal irren. Aber es war Ottfried von Pfaffenhof, der Kapitän der Friedhild , der uns mitteilen wollte, dass Brömme mit Sarahs Probearbeit durchaus zufrieden war und sie den Job bis auf weiteres hatte. Rührkuchen ade!
Ich hatte mich hinuntergeschlichen. Nur Füchschen bemerkte es und tanzte freudig vor meinen Beinen herum. Der Kuchen stand fast unberührt auf dem Tisch. Lediglich eine Kuchenglocke hatte Ortrud darübergestülpt. Sie kannte eben die Vorlieben unserer Katzen. Nichts war wirklich sicher vor ihnen. Ich öffnete den Kühlschrank und füllte mir Milch ins Glas. »Magst du auch?«, fragte ich Füchschen, der mich erwartungsvoll anblickte.
»Ich nehme eins«, hörte ich hinter mir Sarah flüstern, die gerade ins Haus geschlichen kam.
Ich blickte zur Uhr. Viertel vor eins? Wo um alles in der Welt kam Sarah jetzt her? Ich nahm ein Glas aus dem gut geordneten Küchenschrank, goss Milch ein und stellte es auf den Tisch. Sarah setzte sich.
»Wo warst du?«, fragte ich.
»Luft schnappen«, sagte sie und trank das Glas in einem Zug leer.
»Um diese Uhrzeit?« Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Luft, die man auf dem kleinen Holzbalkon einatmen konnte, eine andere war.
»Wieso gehst du dazu nicht auf den Balkon? Ich meine, da draußen kann ja sonst was lauern um diese Zeit.«
Sarah ignorierte die Frage und schob mir ihr Glas zu. »Gibst du mir noch was? Ich verdurste.«
Ich goss erneut ein und setzte mich ebenfalls. Sarah leerte auch das zweite Glas. Dann rieb sie mit ihrem Arm über den Milchrand, der sich witzigerweise um ihren Mund gebildet hatte. Sie hob die Kuchenglocke. »Magst du auch?«
»Ob ich mag? Ich sterbe vor Hunger!«, erwiderte ich.
Sarah holte ein Messer und zwei Teller. »Bevor er vertrocknet«, pflichtete ich nochmals bei, um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Ein vertrockneter Rührkuchen würde Harry auch nicht wieder lebendig machen. Und überhaupt hätte keiner was davon.
Sarah ließ es sich schmecken. Ihre Augen funkelten im dämmerigen Licht der Küchenlampe. Ich zügelte mich etwas. Immerhin hatte ich seit meiner Ankunft einiges an Kilos zugelegt. Und auch die Trennung von Hendrik und all die anderen schlimmen Dinge waren meiner Figur nicht zuträglich. Ich futterte alles, wenn ich das Wort Sorgen nur hörte. Meist Chips oder Süßkram. Auch auf der Friedhild waren fast täglich die schmackhaftesten Desserts zu probieren und die feinsten Hauptgänge abzukosten. Ein Berufsrisiko, das sich enorm auf die Hüften legte, wenn man nicht aufpasste.
»Wo warst du denn?«, hinterfragte ich erneut.
»Nur die Füße vertreten.«
»Aha. Mitten in der Nacht in Muglitz?«
»Ich konnte halt nicht schlafen, wegen des Jobs und so.Und deshalb musste ich raus, den Kopf frei kriegen.« Dabei zog sie die Nase hoch, als hätte sie sich erkältet.
Ich reichte ihr ein Taschentuch aus der Tempo-Box, die Ortrud auf dem Tisch vergessen hatte.
Sarah griff danach und schnäuzte sich. »Weißt du«, begann sie. »Ich finde das so klasse, dass du mich mitgenommen hast. Du hättest mich ja auch in Berlin verrotten lassen können. Aber nein, du kommst in diese Klink und gibst dich als meine Schwester aus. Das war echt Weltklasse, weißt du das?«
»Danke«, murmelte ich verlegen zurück.
»Und dieser Job auf dem Schiff … Ich glaube, er wird mir irgendwann gefallen. Und die Kohle ist ja auch nicht übel, die man dabei verdient.«
Ich war froh zu hören, dass ich ein gutes Werk getan und einem Menschen zu neuem Lebensmut verholfen hatte. Und darauf musste ich auch gleich noch ein Stück Kuchen essen.
Eine Woche darauf …
Pferdefranz war so begeistert von der Arbeit des Perückenmachers, dass diese Begeisterung in seiner Stimme mitschwang. »Ein so prächtiges Haarteil habe ich noch nie gesehen«, schwärmte er. Dabei wiegte er die außergewöhnlich lange Haartracht in seinen Armen, als sei sie ein Königskind. Ich blickte auf den Preis. Was? Knapp zweitausend Euro? Für meine eigenen Haare? Das war ja noch unverschämter als die Auslösesumme beim talibanischen Sonnenbrillenverkäufer. Ich schüttelte entsetzt den
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