Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rapunzel auf Rügen: Roman (German Edition)

Rapunzel auf Rügen: Roman (German Edition)

Titel: Rapunzel auf Rügen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Bieling
Vom Netzwerk:
vorbereitet werden, die den Trauergästen die schwere Last des Leidens versüßen sollte. Der Tod war grausam, und die Speisewünsche der Hinterbliebenen waren barbarisch. Aber was nutzte es, darum zu hadern? Die Menschen waren das, was das Leben aus ihnen gemacht hatte – die einen hart im Nehmen, die anderen weichherzig, und einige waren verletzbar so wie Richard und ich.
    Putbus war eine gute Ablenkung nach der Arbeit. Ortrud war mit Claudia schon heimgefahren, während Sarah und ich noch einige Dinge vom Markt besorgen sollten. Wir schlenderten an den Ständen der Marktleute vorbei.
    »Guck mal, deine Brille«, sagte Sarah.
    »Schön«, erwiderte ich beiläufig und blickte vom Melonenstand hinüber zum Brillen-Verkaufstisch, hinter dem ein bärtiger Taliban mit spitzfindigem Blick auf kaufbereite Opfer lauerte. Jedenfalls glaubte ich, dass es einer war. Als er mein Interesse wahrnahm, trat er auf mich zu. »Du kaufen eine Brille«, forderte er mich auf und suchte mir auch gleich ein passendes Modell heraus. »Die hier, gut für deine Gesicht und gut für Augen bei Sonne.«
    Gut bei Sonne? Wohl eher gut fürs talibanische Portemonnaie! Ich starrte an ihm vorbei, zum Ständer mit meiner Gucci-Brille, auf der immer noch der Kuckuck klebte. Wahrscheinlich dachte der diebische Taliban, dass es sich dabei um eine Marke handelte. Ob ich nach Sonnenbrillen der Marke Kuckuck fragen sollte? Aber Sarah stieß mich an und flüsterte was von weitergehen.
    »Nix da«, herrschte ich zurück. Mich erst aufs Kriegsfeld bugsieren und dann kneifen wollen. Ich stürmte hinter den Verkaufstisch, griff nach meiner Brille und hielt sie dem Taliban entgegen. »Woher haben Sie die?«
    Er rückte seinen Turban gerade. »Gute Brille, nur zwanzig Euro für wunderschöne Frau.«
    Und das für ein Modell der Marke Kuckuck? Okay, er wollte also die harte Tour!
    »Nix zwanzig!«, sagte ich mit Nachdruck. »Diese Brille ist mein Eigentum und wurde mir gestohlen.«
    Er schüttelte entsetzt den Kopf. »Nix gestohlen! Ich verkaufen dir diese Brille für fünfzehn.«
    Meine eigene Sonnenbrille zurückkaufen? Niemals!
    Sarah wurde nervös. »Mensch, lass doch«, flüsterte sie mir zu. Aber wer mich kannte, wusste, dass ich um mein Eigentum kämpfe. Erst recht wenn es sich um jenes handelte, auf das schon Vater Staat ein Auge geworfen hatte.
    »Vergiss es!«, zischte ich über den Verkaufsstand. »Diese Brille ist meine Brille, und ich zahle …«
    »Hier, die fünfzehn Euro«, unterbrach mich Sarah und drückte dem Taliban das Geld in die Hand.
    Er nickte ihr zu. Dann riss er eine Hemdchentüte ab – die, die man in Obst- und Gemüseabteilungen findet – und warf meine Gucci-Brille hinein, als sei sie ein Pfund Trauben. Ich griff nach der Tüte, während die Stimme in meinem Kopf nach Gerechtigkeit schrie. Fordere das Geld zurück! Zeig ihn an! Ruf die Polizei! Aber Sarah stieß mich erneut an und tuschelte. »Komm, lass gut sein. Wer weiß, ob das nicht einer von diesen Selbstmordattentätern ist und der ’ne Bombe irgendwo hat.«
    Wo sie recht hatte, hatte sie recht! In der Tat schienen mir ihre Ängste durchaus nachvollziehbar. Ob es dafür einen medizinischen Namen gab? Talibanphobie oder so? Ich sah in seine dunklen Augen, die von Falten umringt waren. Jede Einzelne hatte gewiss eine düstere Geschichte zu erzählen. Und bestimmt hatte er auch mindestens sieben Kinder und eine vermummte Frau, die denlieben langen Tag über den Boden kroch, um die Stifte der Übungshandgranaten aufzusammeln. Kinder werfen ja alles herum!
    Ich zuckte zusammen, als hinter mir ein Luftballon zerplatzte. Kinder sind auch noch rücksichtslos! Das kleine Mädchen mit den blonden Locken fing an zu weinen. Ihr Opa, ein durchaus attraktiver Senior mit einer Kamera um den Hals, beugte sich tröstend zu ihr herab. Er holte ein Plüschschaf aus einem seiner Beutel und drückte es ihr mit den Worten »Hör up zu flenne und tu ma dat Mäh ei« an die Brust. Ein Schaf! Und sie beschmierte es mit ihren Schokofingern! Ich henkelte Sarah ein und beschloss, keinen unnötigen Krieg heraufzubeschwören. Weder wegen des armen Schafes noch wegen meiner Gucci-Brille. Gemeinsam schlenderten wir durch die Rosenstadt, deren Häuser von weißen Fassaden ummantelt waren. Eine Stadt, wie sie schöner nicht sein konnte.
    Ortrud blickte auf unsere Einkäufe. »Ich sagte Radieschen.«
    »Rettich ist dasselbe, nur größer und billiger«, erwiderte Sarah.
    Erzürnt sah Ortrud zu mir. »Denkst

Weitere Kostenlose Bücher