Rapunzel auf Rügen: Roman (German Edition)
Gott, es tut mir so leid.«
Was bitte tut man mit einer liebgewonnenen Freundin, die einen komplett enttäuscht hatte? Falte sie auf fünfzig mal fünfzig Zentimeter, press sie in einen Postkarton und kleb ’ne Freimarke nach Berlin drauf! – schrie die Stimme in meinem Kopf. Eigentlich hätte sie es verdient! Ich blickte aufs Meer hinaus, in dessen Wellen sich Sonnenstrahlen brachen. Was wohl Richard dazu sagen würde? Bestimmt würde er mir eine Moralpredigt über die Prioritäten des Lebens halten und sagen: Ich habe dich ja gewarnt!
Ich griff in die Tasche meiner Kochhose, die mittlerweile ganz gut passte, und beförderte das Handy heraus. Noch ein paar Probleme mehr, und ich bräuchte eine Hosennummer größer. Und wahrscheinlich müsste ich dann auch die Nutzlast in Mokkaböhnchens Papieren überprüfen, wenn nicht sogar heraufsetzen lassen. O Mann! Der Ärger konnte einem schon ganz schön zusetzen. Ich blickte mich um, ob Brömme oder einer seiner Petz-Matrosen in der Nähe waren. Brömme mochte es nicht, wenn das Personal an Bord telefonierte. Schließlich kann man dasnach Feierabend erledigen, posaunte er stets, während er selber telefonierte. Natürlich nur rein geschäftlich, wie er dann immer versicherte.
Ich sah weder Brömme noch jemanden anders und tippte mich durchs Adressbuch. Ralf, Ria, Richard … Es tutete. Nun mach schon, geh dran! Mir blieben noch zehn Minuten Pause, bevor die nächste Trauergesellschaft auftauchen würde.
»Verflucht! Jetzt nicht!«, kreischte Richard ins Telefon.
»Ich bin es, Rapunzel«, rief ich zurück.
»Ach herrje, du! Ich stecke mitten in einer Katzenmaske. Können wir später sprechen?«
»Dann stecke ich zwischen Schinkenröllchen und Waldpilzsalat«, erklärte ich.
»Verstehe! Halt still und den Kopf mehr nach links.«
»Hä? Ich soll den Kopf nach links drehen?«
»Nicht du! Verflucht, jetzt ist der Bart verschmiert!«
»Hast du dich testen lassen?«, rief ich ins Handy.
»Schätzchen, du nervst! Himmelherrgott noch mal, jetzt ist auch noch der Kajal abgebrochen!«
Ich sah ein, dass es keinen Sinn hatte, und drückte den Knopf mit dem roten Hörer. Eine Möwe landete direkt neben mir auf dem Boden des Schiffes. Irgendwie sah sie der ähnlich, die ich mit Hendrik mal befreit hatte. Ach, Hendrik … Ob ich ihn mal anklingeln sollte? Aber ich hatte keine Zeit für weitere Überlegungen oder das Gänseblümchenprinzip: Ich tu es! Ich tu es nicht!
Katzenjammer
Das hielt ja keine Sau aus! Miez-Miez führte sich auf wie eine sterbende Sirene, die sich gerade für das Musical Cats bewarb. Laut miauend warf sie sich immer wieder vor Knuffelbär hin und drückte ihren felligen Körper platt auf die Holzdielen, als sei sie ein Perserteppich.
»Meine Güte«, knurrte Ortrud. »Dein Kater macht die Katze ja völlig plemplem.«
Ich zog die Schultern hoch und verzerrte mein Gesicht zu einem unschuldigen Ausdruck. »Tja, Kerle eben!«
Ortrud bestrich die Rouladen mit Senf, schnitt Speck in Streifen und wickelte ihn mitsamt der geviertelten Senfgurken in das magere Rindfleisch. »Du solltest mal mit Hendrik reden«, sagte sie, während sie die Rouladen in den Bratentopf legte.
Ich hatte gerade einen Schluck Tee getrunken und verschluckte mich. »Was?«, fragte ich hustend.
»Er ist schließlich Tierarzt. Und so einen kleinen Eingriff, den merkt das Tier doch kaum.«
Ich verstand nur Bahnhof. »Welcher Eingriff?«, hüstelte ich, mit vorgehaltener Hand.
»Kastration«, sagte Ortrud und wedelte dabei mit dem Bratenwender, als sei er ein Skalpell.
Autsch! Knuffelbär sprang an mein Hosenbein. Und als hätte er die Bedeutung des Wortes erkannt, starrte er mich mit großen Kulleraugen an. Ein Kater ohne Hoden? Das wäre ja kein richtiger Kater mehr. So eine Art Richard auf vier Pfoten. Und wer wusste denn schon, wohin das letztendlichführen würde. Vielleicht sogar zum selben Katzenjammer, so wie es Miez-Miez gerade tat, nur dass der Kater ein Eunuchenlied miauen würde. Das konnte selbst Ortrud nicht wollen! Aber wirklich Ahnung hatte ich nicht von Katzen oder Kastration. Nur wollte ich keinesfalls Hendrik fragen.
»Ich will nicht mit ihm reden«, stellte ich klar.
»Es gibt aber keinen anderen Tierarzt von hier bis Garz«, sagte Ortrud.
»Ja und? Dann bleiben die Hoden eben dran!« Knuffelbär lockerte seine Krallen und begann zu schnurren. »Siehste! Er ist gegen Garz und Kastration.«
Zur Erklärung: Garz war der Ort, in dem Hendrik lebte. Garz liegt
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